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Eine gewisse Ratlosigkeit herrschte beim Informationsabend der Pfarrei Heilige Edith Stein in Marl zum jüngst veröffentlichten Gutachten über den sexuellen Missbrauch an Minderjährigen im Bistum Münster in der Zeit von 1945 bis 2020. „Mich machen die Ergebnisse einfach nur sprachlos. Warum hat niemand dieses Ausmaß gestoppt?“, fragte sich eine ältere Frau, die seit vielen Jahren in der Pfarrei in unterschiedlichen Gruppen engagiert ist.
Rund 50 Interessierte kamen ins Pfarrheim St. Georg, um mehr über das 600 Seiten umfassende Gutachten der Universität Münster zu erfahren, das eine Historikerkommission erarbeitet hat. Auch wollten sie wissen, mit welchen Maßnahmen das Bistum Münster auf die Missbrauchsskandale reagiert. Die Untersuchung zählt für den besagten Zeitraum 196 Beschuldigte sowie 610 Betroffene.
Wie geht unsere Pfarreiarbeit weiter?
Pastoralreferentin Laura Kapellner und Pastoralreferent Benedikt Stelthove informierten über das Ausmaß der Missbrauchsfälle, die hohe Dunkelziffer an Tätern und Betroffenen, über Täterprofile und die fehlende Dienstaufsicht der Bistumsleitungen in all den Jahrzehnten. „Und schließlich geht es um die Fragen: Wie wollen wir weiter verbleiben? Wie geht unsere Pfarreiarbeit weiter? Wie können wir noch Kinder- und Jugendarbeit leisten?“, eröffnete Kapellner, die auch Präventionsfachkraft der Pfarrei ist, das Gespräch.
Im Plenum und in Kleingruppen kam vieles zu Sprache. Die Interessierten waren durch die Artikel und Fernsehberichte gut informiert, und doch gab es immer noch viele offene Fragen: „Warum bekommt ein Betroffener nur eine Entschädigung von 5.000 Euro, wenn doch sein ganzes Leben kaputt ist?“, fragte ein Gemeindemitglied und forderte Aufklärung darüber, wie die Kirche den Betroffenen wenigstens finanziell entgegenkommen kann.
Sinn und Zweck von Bistümern
Auch in Kleingruppen wurde in Marl darüber diskutiert, wie es nach der Veröffentlichung des Missbrauchs-Gutachtens mit der Kirche weitergeht. | Foto: Johannes Bernard
Grundsätzlich wurde es, als die Strukturen angesprochen wurden: „Vielleicht ist es besser, alle Bistümer aufzulösen und die Kirche wieder sozusagen von unten aufzubauen“, lautete ein Ratschlag, wie ein Ausweg aus dem Missbrauchsskandal gefunden werden kann.
Auch die Sonderform des Kirchenrechts wurde kritisiert: „Die Täter sind durch das staatliche Recht zu verurteilen. Mir scheint, dass sich viele Kleriker hinter dem Kirchenrecht verstecken. Das geht gar nicht“, machte ein enttäuschter Mann deutlich.
Mehr Frauen auf allen Ebenen
Rund 50 Interessierte informierten im Pfarrheim St. Georg in Marl über das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster. | Foto: Bernard
Ob das Bistum Münster ein neues kirchliches Verwaltungsgericht braucht, um Verwaltungsakte durchschaubarer und rechtlich überprüfbar zu machen, wird hinterfragt: „Wozu braucht die Kirche ein eigenes Rechtssystem? Haben wir denn nicht in unserem Land Ermittlungsbehörden und Staatsanwälte?“, lautete eine offene Frage.
Machtausübungen, Klerikalismus, Männerbünde – mit diesen Erscheinungsformen wollen die Gemeindemitglieder in Marl nichts mehr zu tun haben. „Wir brauchen mehr Frauen auf allen Entscheidungsebenen, mehr Mitsprache und Eigenverantwortung. Unsere Kirchenunmündigkeit muss vorbei sein“, sagte ein engagiertes Gemeindemitglied. Schließlich seien alle Christen getauft und gesalbt und damit berufen. Gut, dass die Pfarreiarbeit vor Ort gut laufe.
Das Schweigen der Hirten
Über das Gutachten sagte ein Mann zum Schluss: „Auf das Schreien der Lämmer folgte das Schweigen der Hirten.“