Durch Berichterstattung von „Kirche-und-Leben.de“ aufgeschreckt

Missbrauch im Vinzenzwerk: Schwester meldet sich mit neuen Hinweisen

  • Durch aktuelle Berichte über Hinweise zum sexuellen Missbrauch im Vinzenzwerk Münster-Handorf ist eine Schwester aufgeschreckt, die zum damaligen Zeitpunkt in einer dortigen Pflegegruppe arbeitete.
  • Sie kann sich daran erinnern, dass entgegen der bisherigen Annahme durchaus eine Meldung der Schwestern an das Bistum ging.
  • Die Informationen seien bislang nicht öffentlich gemacht worden, weil es im Orden unterschiedliche Sichtweisen zum Umgang mit Missbrauch gegeben habe.

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„Das stimmt nicht“, sagt Schwester R. bestimmt. Die Schwester Unserer Lieben Frau hat eine Nacht nicht geschlafen, nachdem sie auf „Kirche-und-Leben.de“ die Aussagen der aktuellen Missbrauchsstudie gelesen hatte. „Dass die Schwestern nie etwas unternommen und Pfarrer N. bei seinen Taten immer gedeckt haben, ist falsch.“

Sie sagt das zum ersten Mal öffentlich, weil die Enttäuschung über die neuen Aussagen so groß war. Und, weil die Aussagen durch Stellungnahmen aus dem Kinderheim und aus dem Orden gestützt wurden.

„Wir haben den Missbrauch gemeldet“

„Wir haben den Missbrauch durch Pfarrer N. an Bischof Tenhumberg gemeldet“, sagt sie unmissverständlich. Sie war damals in einer Wohngruppe im Vinzenzwerk in Münster-Handorf im Einsatz, als der Priester an sie herantrat. „Ich habe ihn da das einzige Mal gesehen.“

Er fragte, ob er einige ihrer Schützlinge mit auf einen Sonntagsausflug nehmen dürfe. Natürlich durfte er das, sagt die Schwester. Denn es war ein echtes Geschenk für die Kinder aus dem Heim. „Sie freuten sich auf den Kuchen, den es dabei immer gab.“

Pfarrer N. bekommt Hausverbot in Handorf

Ein Junge aber meldete sich direkt nach dem Ausflug bei ihr: „Schwester, da möchte ich nicht mehr mitfahren – wir müssen da die Hose runterziehen.“ Sie reagierte sofort, ging zur leitenden Schwester der Einrichtung und meldete den Vorfall. „Die veranlasste umgehend, dass Pfarrer N. Hausverbot erhielt.“

Nicht nur das: Sie setzte sich aufs Fahrrad und fuhr zum Bischof nach Münster. „Kurze Zeit später war der Priester nicht mehr im Dienst und für einige Zeit aus der Seelsorge verschwunden.“

Ihre Erinnerungen decken sich mit Angaben der Studie. Die Meldung der Schwestern muss 1971 an den Bischof ergangen sein. Sie kann das datieren, weil sie kurze Zeit später mit ihrer Erzieherinnenausbildung begann. „Unter Angaben medizinischer Gründe begab sich N. im Frühjahr 1971 für einige Wochen in eine Art Kur“, steht in der Studie.

Meldung an Bischof kein Geheimnis, aber auch nicht öffentlich

Die heute 81-jährige Schwester R. sagt, dass diese Ereignisse im Orden und in ihrem privaten Umfeld schon lange kein Geheimnis mehr sind. Dass die breite Öffentlichkeit in den vergangenen 50 Jahren nichts davon erfuhr, hatte verschieden Gründe.

„Es ereignete sich in einer Zeit des Übergangs“, sagt sie. „Die ältere Generation der Mitschwestern im Vinzenzwerk wollten nichts von dem Missbrauch hören.“ Ein glorifizierendes Priesterbild und ein veraltetes Verständnis von Erziehung, geprägt durch Härte und Gewalt, verhinderten eine offene Auseinandersetzung. „In jener Atmosphäre die Meldung beim Bischof öffentlich zu machen, stand außer Frage.“

Nur sehr langsam entwickelte sich ein anderer Umgang mit dem Thema, auch wenn die nachrückende Generation der Schwestern einen immer professionelleren und sensibleren Umgang mit den Schützlingen hatte. „Es gab eine ältere Schwester, die bis in das Jahr 2011 nicht wahrhaben wollte, dass N. Kinder aus ihrer Gruppe sexuell missbraucht haben sollte.“ Erst als im Zuge der allgemeinen Missbrauchsaufarbeitung eines der Opfer ein Buch über seine Erlebnisse veröffentlichte, habe diese unter Tränen erkannt, was passiert war.

Scheu vor der Öffentlichkeit war groß

In all den Jahren gab es diese unterschiedlichen Positionen in der Ordensgemeinschaft. Deshalb sei es auch nie ein Thema gewesen, die damaligen Ereignisse in die Öffentlichkeit zu tragen. Selbst nach 2010, als die Missbrauchs-Geschichte der Einrichtung aufgearbeitet wurde, stand das nicht an.

„Es wurde sehr intensiv mit den Opfern gesprochen“, sagt die Schwester. Die Fakten über den Missbrauch lagen damit auf dem Tisch, nicht aber das wichtige rigorose Vorgehen einiger Schwestern damals. Bis heute war dies nur im engen Kreis bekannt. „Eine Rolle spielt sicher auch eine gewisse Scheu vor der Öffentlichkeit.“ Die auch jetzt geblieben ist - was die Bitte um Anonymisierung in diesem Bericht belegt.

Die Intervention war wichtig

Dabei war es eine vertane Chance, den Orden beim Umgang mit dem Missbrauch in ein anderes Licht zu rücken. Denn wie wichtig das Intervenieren war, liegt auf der Hand. Der Täter hätte vielleicht noch viele weitere Möglichkeiten für seinen Missbrauch genutzt.

Die Dankbarkeit der Kinder ist Schwester R. und jenen zwei Mitschwestern, die ihre Entscheidung trotz des Widerstands aus der Reihe der älteren Schwestern damals mittrugen, sicher. Mit dem Jungen, der ihr die Taten von N. meldete, hat sie seit kurzem wieder Kontakt. „Er ist glücklich, dass wir so gehandelt haben, wie wir es für richtig hielten.“

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