Dresdner Bischof über seine Zeit in Vechta und Hinweise von Bischof Lettmann

Timmerevers: Als Offizial im Missbrauchsfall Franz N. falsch gehandelt

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Die Missbrauchsstudie für das Bistum Münster beschäftigt sich auch mit Heinrich Timmerevers. Der jetzige Dresdner Bischof war von 2001 bis 2016 Weihbischof und Offizial in Vechta. Für die Studie gab Timmerevers zu Protokoll, der damalige Bischof Reinhard Lettmann habe ihn Mitte der 2000er Jahre auf die pädophile Neigung eines Priesters im Oldenburger Land hingewiesen, aber keine weiteren Informationen oder Handlungsempfehlungen gegeben. Besagtem Geistlichen, der 2017 verstarb, werden laut Studie zahlreiche Missbrauchstaten vorgeworfen; Vorfälle aus den 2000er Jahren sind jedoch nicht bekannt.

Herr Bischof Timmerevers, würden Sie rückblickend sagen: In jenem Fall, als Bischof Lettmann Ihnen von der pädophilen Neigung eines Priesters im Offizialatsbezirk erzählt hat, haben Sie zu wenig unternommen, dass dieser Mann nicht mehr in der Seelsorge tätig ist, auch nicht im Ruhestand, und dass seine Taten aufgeklärt werden?

Wenn ich heute eine solche Andeutung erhalte, von wem auch immer, setze ich gemäß den geschaffenen Richtlinien sofort unseren Interventionsbeauftragten daran und aktiviere den ständigen Beraterstab. Damals waren diese Interventionsstrukturen noch nicht selbstverständlich, es war ein System der "organisierten Unverantwortlichkeit", wie ich es jetzt verstehe. Heute gibt es klare Regelwerke und Verantwortlichkeiten. Ich bin mir aber auch sicher: Hätte ich einen Hinweis bekommen, dass Pfarrer Franz N. in meinem Verantwortungsbereich während meiner Amtszeit in irgendeiner Form übergriffig geworden wäre, hätte ich gehandelt. Das war nach meiner Kenntnis nicht der Fall.

Wie lässt es sich erklären, dass Sie nicht aktiver gehandelt haben?

Mir wird im Rückblick deutlich: Ich bin in ein System des Schweigens hineingewachsen. Das Thema Missbrauch wurde tabuisiert, höchstens subtil angedeutet. Auch in den Personalkonferenzen wurde nur verklausuliert darüber gesprochen. Das Münsteraner Gutachten hat gezeigt, dass Leitungspersonen genau dieses Tabuisieren eingeübt haben. Es ist den Betroffenen beziehungsweise Überlebenden zu verdanken, genau diese Spirale des Schweigens durchbrochen zu haben. Dadurch haben wir als Kirche heute eine andere Kultur. Das betrifft auch die Bischöfe. Ich bereue meine fehlende Aufmerksamkeit. Deswegen verstehe ich es umso mehr als meine Aufgabe, an einer Veränderung mitzuwirken. Ich möchte die Chance nutzen, es heute und in Zukunft anders zu machen.

Haben Sie sich angesichts des Alters des Pfarrers - er war 73 Jahre alt, als Sie Weihbischof wurden - darauf verlassen, dass es zu keinen Übergriffen mehr kommt?

Ich hatte keinen Hinweis oder kein Indiz, dass der besagte Pfarrer in meiner Zeit übergriffig wurde. Einzige Grundlage meiner Wachsamkeit war der vage Hinweis von Bischof Lettmann.

Haben Sie sich auf die Hierarchie verlassen - also: Wenn der Diözesanbischof nicht handelt, ist es auch nicht an Ihnen als Weihbischof, zu handeln?

Lettmann war als Person eine Institution, die in diesen Angelegenheiten nicht hinterfragt wurde. Weder von anderen noch von mir. Das zeigt mir, dass wir institutionell Macht- und Gewaltenteilung in der Kirche brauchen. Gerade die Perspektive der Betroffenen hat mich in vielen Gesprächen viel gelehrt. Heute kann ich mit einem anderen Standing sagen, dass es so nicht geht!

Halten Sie Ihr damaliges Handeln für entschuldbar?

Heute weiß ich, dass es ein Fehler war, die Andeutung von Bischof Lettmann nicht mit Vehemenz aus der zweiten Reihe nachzuverfolgen. Ich hätte ihn bedrängen müssen, hier Klarheit zu schaffen. Ich habe Handeln unterlassen. Rückblickend war das falsch. Sie können also von Schuld sprechen. Es liegt nicht an mir, mich ob dieser Schuld zu befreien. Ich bitte aber um Entschuldigung. Mein Handeln soll davon zeugen, daraus gelernt zu haben. In meiner unmittelbaren Verantwortlichkeit als Offizial gab es nach meiner Kenntnis keine Übergriffe. Hier habe ich nichts unter den Teppich gekehrt oder vertuscht.

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