Vorwürfe gegen Genn, Overbeck und ehemalige Bischöfe

Missbrauchs-Gutachten für das Bistum Münster: Bischöfe haben versagt

  • Das Missbrauchs-Gutachten für das Bistum Münster wirft ehemaligen und noch aktiven Bischöfen große Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen vor.
  • Auch gegen den heutigen Bischof Felix Genn und gegen den Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck gibt es Vorwürfe.
  • Die Bischöfe Keller, Höffner, Tenhumberg und Lettmann haben beschuldigte Geistliche geschützt und weitere Taten ermöglicht.

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Ehemalige und heute noch aktive Kirchenverantwortliche haben nach dem Missbrauchs-Gutachten für das Bistum Münster große Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen begangen. Die Bischöfe Michael Keller (Amtszeit 1947-1961), Joseph Höffner (1962-1969), Heinrich Tenhumberg (1969-1979) und Reinhard Lettmann (1980-2008) hätten verurteilte Geistliche immer wieder in der Seelsorge eingesetzt und damit weitere Taten ermöglicht, heißt es in der am Montag von der Universität Münster vorgestellten Untersuchung.

Bischof Felix Genn

Dem aktuellen Bischof Felix Genn (72) bescheinigt das Forschungsteam um die Historiker Thomas Großbölting und Klaus Große Kracht zwar, den Umgang mit Missbrauchsfällen den Regeln der Bischofskonferenz angepasst zu haben. Gleichwohl habe der seit 2009 amtierende Oberhirte eine längere Phase gebraucht, um seiner Verantwortung für Intervention und Prävention gerecht zu werden.

In seinen ersten Jahren sei der Bischof Missbrauchstätern, sofern sie Reue zeigten, kirchenrechtlich nicht immer mit der gebotenen Strenge begegnet. Genn habe eingeräumt, gegenüber Beschuldigten „zu sehr als Seelsorger und zu wenig als Dienstvorgesetzter gehandelt zu haben“.

Bischof Franz-Josef Overbeck

Ein Vorwurf in einem Fall trifft auch den heutigen Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der früher Weihbischof in Münster war. Overbeck habe 2009 entschieden, den Fall eines beschuldigten Offizialatsmitarbeiters nicht der Missbrauchskommission vorzulegen. Die Vorwürfe aus dem Jahr 1997 seien damit nicht vollständig aufgearbeitet.

610 Menschen von Missbrauch betroffen

Die Untersuchung zählt nach Auswertungen von Akten und Betroffenen-Interviews 610 Betroffene und 196 Beschuldigte zwischen 1945 und 2020. Damit liegt die Zahl der Beschuldigten um ein Drittel höher als in der 2018 vorgestellten MHG-Studie der Bischofskonferenz. Die Gründe seien, dass Zeitraum und Methoden variierten und sich weitere Betroffene gemeldet hätten.

Missbrauchsvorwürfe betreffen 4,1 Prozent aller Priester zwischen 1945 und 2020. 40 Prozent der Beschuldigten seien Mehrfachtäter. Neun von zehn Beschuldigten hätten keine strafrechtlichen Konsequenzen erfahren.

Großbölting: Kirche ist Täterorganisation

Teils seien Täter in andere Bistümer oder ins Ausland versetzt worden, so die Forschenden. Die Flucht in andere Staaten sei durch kirchliche Netzwerke wie Caritas International gelungen. Höffner habe beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) Kontakte ins Ausland geknüpft.

"Die katholische Kirche ist Täterorganisation", sagte Großbölting. Auch Laien hätten einen Priester als "heiligen Mann" betrachtet und zur Vertuschung beigetragen. Er kritisierte, dass die Aufarbeitung nur durch Druck von außen erfolgt. Neben den inzwischen umgesetzten Maßnahmen zur Prävention und Aufklärung müsse im Bistum nun auch eine Debatte über die Machtstrukturen folgen. Betroffene beklagten immer wieder auch Defizite in der Kommunikation des Bistums mit ihnen.

Hotline für Betroffene eingerichtet

Das Bistum Münster hatte die am 1. Oktober 2019 begonnene Studie in Auftrag gegeben und den Forschenden zugleich Unabhängigkeit zugesichert. Anders als andere Diözesen entschied sich Münster gegen ein juristisch angelegtes Gutachten wie in Köln oder München, sondern beauftragte das Team aus vier Historikern und einer Ethnologin. Um die Unabhängigkeit der Wissenschaftler zu wahren, erfahren die Verantwortlichen der Diözese erst nach den Medienvertretern am Mittag von den Ergebnissen. Genn will sich am Freitag vor Journalisten zu den Inhalten äußern.

Mit Blick auf die Veröffentlichung richtete das Bistum eine Telefon-Hotline für Missbrauchsbetroffene ein. Auch Menschen, die Angaben zu Fällen sexualisierter Gewalt machen wollen, können sich ab Montag für eine Woche unter der Telefonnummer 0251/495-6252 melden. Sie ist freigeschaltet vom 13. bis 19. Juni, jeweils von 10 bis 19 Uhr.

UPDATE: Weitere Informationen zu Zahlen ab dem sechsten Absatz ergänzt. | 13.06.2022, 13:23, mn

Das gesamte Missbrauchs-Gutachten der Historiker-Kommission der Universität Münster ist hier zu finden.

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