Historiker und Theologen der Universität Münster kritisieren fehlende Konsequenzen

Großbölting: Unser Missbrauchs-Gutachten hat niemanden wachgerüttelt

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Einen Monat nach Veröffentlichung der Missbrauchsstudie für das Bistum Münster beklagt deren Leiter ausbleibenden Reformwillen in der katholischen Kirche. "Noch kann ich nicht erkennen, dass unsere Studie jemanden wachgerüttelt hat", sagte Thomas Großbölting laut einer Pressemitteilung der Universität Münster. Auch die Theologie-Lehrenden Wolf, Heimbach-Steins, Bobbert und Schnocks kritisierten fehlende Konsequenzen.

Einen Monat nach Veröffentlichung der Missbrauchsstudie für das Bistum Münster beklagt deren Leiter ausbleibenden Reformwillen in der katholischen Kirche. "Noch kann ich nicht erkennen, dass unsere Studie jemanden wachgerüttelt hat", sagte Thomas Großbölting laut einer Pressemitteilung der Universität Münster. "Ich sehe keinen grundlegenden Aufbruch."

Am 13. Juni hatte die vom Bistum Münster beauftragte und finanzierte unabhängige Historiker-Kommission der Universität ihre Forschungsergebnisse vorgestellt. Demnach haben seit 1945 rund 200 Geistliche im Bistum Münster mindestens 610 Betroffene sexuell missbraucht, das Dunkelfeld soll achtmal so groß sein. Sämtlichen münsterschen Diözesanbischöfen wurden teils gravierende Vergehen im Umgang mit Missbrauchstätern und Betroffenen vorgeworfen.

Großbölting bezweifelt Reformbereitschaft

Die Universität Münster bemängelt in ihrer Pressemitteilung, es sehe so aus, "als blieben die Bistümer ihrer bisherigen Linie treu: etwas mehr Geld, weitere Ansprechpartner - aber keine großen Veränderungen". Zwar habe Münsters Bischof Felix Genn angedeutet, eine neue innerkirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bistum zu etablieren; Genn hatte die kirchenrechtliche Prüfung einer solchen Initiative angekündigt.

Großbölting forderte jedoch darüber hinaus laut Pressemitteilung, den "Kontroll- und Vereinheitlichungszwang der Hierarchie" zugunsten einer "neuen Vision von Kirche aufzugeben". "Muss Kirche zwingend als heilige und hierarchische Ordnung gedacht werden, die sich vor allem in einer Befehls- und Gehorsamspraxis realisiert?", fragt der Historiker.

Er beklagt zugleich erneut ein "Machtgefälle, das Abhängigkeiten schaffe, die Sakralisierung und Dominanz von Personen etabliere und zu Vertuschung motiviere". Er sei skeptisch, ob die katholische Kirche, in der es "nach wie vor sehr starke konservative Kräfte gibt", zu notwendigen Reformen bereit ist. 

Hubert Wolf: Bischofswahl im Bistum, Finanzhoheit an Laien

Auch Lehrende der Katholisch-Theologischen Fakultät kritisieren fehlenden Veränderungswillen nach dem Gutachten. Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf etwa fordert laut Pressemitteilung der Universität die Zulassung verheirateter Priester, die Weihe von Frauen, die Einführung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit, eine Bischofswahl vor Ort statt einer römischen Ernennung, die Einführung synodaler Strukturen und die Übergabe der Finanzhoheit an Laien.

Nach Auffassung der katholischen Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins gelte es, "die Sakralisierung des Priesteramts zu dekonstruieren", die Missbrauch ermögliche. Ein aus solcher Überhöhung resultierender "Klerikalismus an der Basis" müsse überwunden werden. Die Moraltheologin Monika Bobbert beklagte, vielen Verantwortlichen fehle es an einer "Leidempfindlichkeit für die Betroffenen".

Johannes Schnocks: Erneute Verschleierung

Für Hilfe von außen bei der Aufarbeitung des Missbrauchs spricht sich der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Münster, der Alttestamentler Johannes Schnocks, aus.

Zugleich warnt er: "Was es nicht geben darf, ist eine Kirche, die einerseits theologisch so tut, als habe es diese Katastrophe nicht gegeben, indem sie die institutionelle Heiligkeit gegen 'die Welt' betont, und andererseits verleumderische Denunziationen Unschuldiger begünstigt, um als hart aufklärend wahrgenommen zu werden." Beides hätte laut Schnocks "erneut mit Verschleierung der Realität und mit Lüge zu tun."

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