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Die Missbrauchsstudie hat Missstände klar benannt. Für Peter Frings, den Interventionsbeauftragten des Bistums Münster, macht das ihren besonderen Wert aus. Weil es Betroffenen helfe und Gemeinden herausfordere. Sie müssten über Konsequenzen nachdenken, sagte er bei einer Veranstaltung in der Akademie Stapelfeld. Teilnehmer sahen das ähnlich.
„Das Missbrauchsgutachten hat in mehrerer Hinsicht etwas gebracht“, sagt Peter Frings. „Dass Historiker einen unabhängigen Bericht schreiben konnten – das war gut und wichtig!“ Vor rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörern in der Katholischen Akademie Stapelfeld (KAS) in Cloppenburg erklärte der Interventionsbeauftragte des Bistums Münster, warum das auch für von Missbrauch Betroffene so wichtig war: „Das Schreckliche ist durch die ermittelten Fakten und die exemplarischen Fälle jetzt besser besprechbar.“
Das stärke ihre Position: „Sie müssen sich nicht mehr dafür rechtfertigen, was sie erlebt haben. Sondern: Andere haben es aufgeschrieben.“ Das mache es nun für viele leichter möglich, über das Thema zu sprechen.
Betroffene können leichter über Erlebnisse reden
Wie wichtig das ist, weiß Frings aus seiner Arbeit als Interventionsbeauftragter. In der Funktion ist er seit drei Jahren Ansprechpartner für Menschen, die wegen früherer oder aktueller Missbrauchs-Erlebnisse mit ihm in Kontakt treten. Vom Bistum bezahlt, aber weisungsunabhängig berät der Jurist sie, gibt Rat, vermittelt juristischen Beistand und hört zu.
Wichtig an der am 13. Juni veröffentlichen Studie ist nach Frings Auffassung zudem, dass Verantwortung und Versäumnisse von Amtsträgern „am Domplatz“ klar benannt worden seien. Aber auch die von Menschen, die etwas wussten oder sogar gesehen haben, die sich aber weggeguckt hätten, auch in Gemeinden vor Ort.
Neuer Ansatzpunkt für Gemeinden
Vor gut 50 Menschen referierte Peter Frings in Stapelfeld. | Foto: Michael Rottmann
Genau dort sieht Frings einen wichtigen Ansatzpunkt für die künftige Beschäftigung mit dem Thema. Damit nicht noch einmal Jahrzehnte später gesagt werden müsse: „Es haben doch alle gewusst“ – ohne dass eingeschritten worden sei.
„Die Missbrauchsstudie des Bistums Münster: Ergebnisse und Konsequenzen für das kirchliche Leben“ – so lautete das Thema der Veranstaltung, deren Anliegen Akademiedirektor Marc Röbel bei der Begrüßung so formulierte: „Das hier soll kein Punkt, sondern ein Doppelpunkt sein.“ Die Bearbeitung des Themas müsse danach weitergehen.
Konkrete Fälle machen Thema nachvollziehbarer
Für Peter Frings insbesondere in den Gemeinden. „Es muss jetzt ein Weg gefunden werden, wie und welche Konsequenzen jetzt auch vor Ort zu ziehen sind.“ Die Ergebnisse der Studie könnten dabei helfen. Präventionsarbeit etwa werde durch die geschilderten Beispiel-Fälle künftig konkreter möglich sein.
„Es ist eben nicht mehr nur Theorie, um die es geht. Sondern: Man kann sich jetzt fragen, ob das heute auch noch so passieren könnte.“ Und auch, wie man vorbeugen kann. Auf diesen offenen Umgang mit dem Thema komme es jetzt an: „Wir müssen es schaffen, dass in dieser Kirche Menschen Dinge, die sie sehen und irritieren, ansprechen können“. Und zwar ohne Angst vor Hierarchien.
Es geht nicht nur um Priester
Dabei gehe es nicht nur um Geistliche als mögliche Täter. „Man kann nicht davon ausgehen, dass es Missbrauch nur dort gab, wo Priester unterwegs waren“, sagte Frings. „Es gab auch Missbrauch in Einrichtungen der Jugendhilfe, etwa der Caritas, auch durch Laien. Und auch dort müssen wir die Sprachlosigkeit überwinden.“
Peter Frings stellte sich dabei hinter Thomas Großbölting, den Leiter der Historiker-Kommission, die die Missbrauchsstudie erstellt hatte. Großbölting hatte vor wenigen Tagen beklagt, er könne noch nicht erkennen, dass die Studie jemanden wachgerüttelt habe.
Auch Frings ist es zu ruhig im Bistum
Peter Frings erklärte dazu: „Ja, auch ich glaube, dass es noch zu ruhig ist. Wir müssen die Ergebnisse der Studie jetzt aufgreifen und uns damit auseinandersetzen, so schwer das Thema auch ist.“
Auch das, was einige Teilnehmer in der Fragerunde nach Frings‘ Vortrag zum Thema machten: Dass es bei Missbrauch auch um Macht in der Kirche gehe. Ein Zuhörer brachte es mit seiner Anmerkung so auf den Punkt: „Wenn es so ist, dass die Kirche ein Machtsystem ist, bei dem Recht nicht gilt und Missbrauch nicht geahndet wird, dann fragt man sich: Wozu braucht man so eine Kirche überhaupt?“
„Sonst ist in ein paar Jahren der Laden zu“
Ein anderer Teilnehmer sah nur weitere Veränderungen als Möglichkeit. Gegenwärtig sei die Kirche dabei, „abzusaufen“. Junge Leute blieben schon länger weg. „Wenn wir jetzt nichts ändern – nicht einer alleine, sondern alle – dann ist in ein paar Jahren der Laden zu.“ Ein anderer Teilnehmer forderte: „Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir auch strukturell an der Kirche etwas ändern.“
„Strukturell und auch individuell“, ergänzte Akademiedirektor Marc Röbel. „Etwa dadurch, dass von Menschen, die eine Aufgaben innerhalb der Kirche haben, erwartet werden muss, dass sie auch selber an sich arbeiten. Daran fehlt es, da ist noch sehr viel Entwicklungsbedarf. Auch daran muss gearbeitet werden.“
Ergänzendes Video - das sagte Bischof Genn kurz nach der Studienvorstellung