Rike Bartmann zu Konsequenzen aus dem Gutachten des Bistums Münster

Sprachfähig, sensibel, mutig: Das braucht Missbrauchsaufarbeitung jetzt

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Knapp zwei Monate sind seit der Vorstellung der Missbrauchsstudie für das Bistum Münster vergangen. Doch passiert ist bislang wenig, sagt Theologin Rike Bartmann in ihrem Gast-Kommentar.

57 Tage – so lange ist es her, dass das Missbrauchsgutachten des Bistums Münsters veröffentlicht wurde. Wenn Sie mich fragen – eine verdammt lange Zeit, in der verdammt wenig passiert ist. Die Missstände sind klar benannt worden – aber was folgt denn nun bitte an Taten?

Ich habe mal ein paar Vorschläge und Wünsche gesammelt, liebe Verantwortlichen im Bistum:

Ich wünsche mir Sprachfähigkeit! Die braucht es in ganz vielen Bereichen: Wir müssen über Sexualität, sexualpädagogische Fragen und Themen der sexuellen Bildung sprechen können. Wir müssen sprachfähig sein über das, was an Missbrauch und sexualisierter Gewalt in der Vergangenheit geschehen ist. Wir müssen darüber ins Gespräch kommen, was wir tun können, damit es für Täterinnen und Täter deutlich schwieriger wird, übergriffig zu werden im Kontext ehrenamtlicher und hauptberuflicher Arbeit in der katholischen Kirche.

Betroffenen zuhören

Die Autorin
Rike Bartmann ist pädagogische Referentin bei der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW e.V. Sie wuchs im Sauerland auf, hat ihre Wurzeln in der Katholischen Jungen Gemeinde (KJG), studierte katholische Theologie und ist Autorin und Sprecherin bei „Kirche in 1Live“ im WDR-Hörfunk.

Ich wünsche mir ein richtiges Verstehen! Das funktioniert aber nur dann, wenn zugehört wird – den Betroffenen und ihren Erzählungen, auch wenn das schmerzhaft sein kann und plötzlich Bilder vor dem inneren Auge auftauchen, die brutal sind. Auch diese dunklen Momente gehören dazu, das Leid und der Schmerz der Betroffenen.

Und genau das ist für mich Seelsorge – die Sorge an der Seele des Einzelnen und der Einzelnen. Die Botschaft: Ich höre dir zu.

Ich wünsche mir Sensibilisierung. Seit elf Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Prävention sexualisierter Gewalt im Kinder- und Jugendschutz und weiß, wie wichtig es ist, sensibilisiert zu sein. Für Grenzen und Grenzüberschreitungen, für Nähe und Distanz, für Täter*innen-Strategien und -Dynamiken.

Aufarbeitung ist herausfordernd

Ich wünsche mir einen Wandel der Strukturen. Solange es starke Hierarchien und ein großes Machtgefälle gibt, machen wir es Täter*innen leicht, übergriffig zu werden.

Ich wünsche mir Mut. Und kein Zurückschrecken davor, dass die Aufarbeitung des Missbrauchs anstrengend sein kann. Ja, das wird herausfordernd, ganz bestimmt.

Missbrauch und sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche sind viel zu lange tabuisiert und verschwiegen worden, es ist so unglaublich wertvoll, dass es nun das Gutachten im Bistum Münster gibt, das klar und deutlich aufzeigt, was wann durch wen geschehen ist. Diese Chance müssen wir nutzen. Raus aus der Tabu-Ecke mit dem Thema sexualisierte Gewalt und ab ins Rampenlicht!

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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