40 Interessierte diskutieren in der Pfarrei St. Clemens in Hiltrup über Studie

Missbrauchsdebatte: „Ausnutzen von klerikaler Macht ist unentschuldbar“

  • Rund 40 Interessierte haben im Pfarrheim St. Marien in Münster-Hiltrup über das Gutachten der Universität Münster zu den Missbrauchsfällen im Bistum Münster in den Jahren 1945 bis 2020 diskutiert.
  • Einige Teilnehmende wollen nach Lesen des Gutachtens ihr kirchliches Engagement überdenken.
  • Die Pfarrei St. Clemens in Hiltrup-Amelsbüren überlegt, welche Konsequenzen aus den Skandalen für die Gemeinde-Arbeit zu ziehen sind.

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Mehrere Teilnehmende einer Versammlung der Pfarrei St. Clemens Hiltrup und Amelsbüren in Münster haben das 600-seitige Gutachten der Universität Münster zu den Missbrauchsfällen im Bistum Münster durch Priester in den Jahren 1945 bis 2020 gelesen. Sie zeigten sich entsetzt, in welchem Umfang sexuellen Missbrauch möglich war.

„Nicht nur die Missbrauchsfälle machen mich wütend. Auch das Leitungsversagen der früheren Bischöfe und Personalverantwortlichen ist eine Schande“, sagte eine Teilnehmerin. Sie sei umso entsetzter, weil sie einige der Verantwortlichen als „nette, zugewandte und menschenfreundliche Kirchenvertreter“ kennengelernt habe.

Enttäuschung macht die Runde

Eine andere Frau habe das Gutachten nach dem Lesen einiger Fallbeispiele angewidert zur Seite gelegt, weil sie mit ihren Kräften am Ende gewesen sei: „Für diesen Laden habe ich mich lange ehrenamtlich engagiert. Wenn wir hier in Hiltrup nicht ein so gutes Seelsorgeteam hätten, wäre ich schon lange weg. Ich schäme mich für die Kirche, aber eigentlich sollten sich andere schämen.“

In der Diskussionsrunde im Pfarrheim St. Marien lassen die rund 40 Interessierten ihrer Meinung freien Lauf. Fast jeder äußert seine Enttäuschung, und fast alle fragen sich, wie es mit der Kirche im Allgemeinen und mit dem Gemeindeleben weitergeht.

Skandalöses Verhalten

„Frust und Ärger müssen raus. Es braucht den gemeinsamen Austausch darüber, wie wir als Gemeinde auf die Missbrauchsfälle reagieren wollen, wie wir uns positionieren, wie wir uns in Zukunft aufstellen für unseren Weg in die Zukunft“, sagte Pfarrer Mike Netzler, als er die Ergebnisse des Gutachtens vorstellte.

Das Seelsorgeteam und der Pfarreirat von St. Clemens hatten zuvor zum Gutachten Stellung genommen, wie Netzler informierte: „Perfides Ausnutzen von klerikaler Macht für hochegoistische Ziele, der es offensichtlich egal ist, ob Menschen daran zerbrechen, ist unentschuldbar. Dass Täter dann geschützt werden, während die Betroffenen ignoriert oder diskreditiert werden, ist skandalös.“

Überhöhtes Priesterbild

Ein völlig fehlgeleitetes und aus dem Ruder gelaufenes Verständnis vom priesterlichen Amt in unantastbare, unkontrollierbare und unangreifbare theologische und rechtliche Sphären müsse dringend aufgearbeitet, korrigiert und auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden, erklären Seelsorgeteam und Pfarreirat in ihrer Stellungnahme.

Angesichts dieses tiefgreifenden Versagens von Kirche und diesem eklatanten Verrat der Verkünder an ihrer eigenen Botschaft könne niemand einfach so zur Tagesordnung zurückkehren, sagte Netzler: „Die immer stärker steigende Zahl Kirchenaustritte – auch von Menschen, die sich bis eben noch in unseren Gemeinden engagiert haben – macht deutlich, wie groß das Entsetzen ist, wie unverzeihlich das Geschehene ist, wie groß die Resignation in der Frage ist, ob wir überhaupt noch in der Lage sind, uns selber zu erneuern.“

Betroffener beklagt schleppende Aufarbeitung

Dass die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle im Bistum Münster nur schleppend verlaufe, meinte Antonius Kock aus Dülmen, der als Gast an der Veranstaltung teilnahm. Er ist ein Betroffener und hat in den letzten Jahren mit der Bistumsleitung über die Anerkennung des Leids gesprochen.

Kock informierte über seine Gesprächskontakte und über Schwierigkeiten, als Betroffene oder Betroffener von sexuellem Missbrauch Gehör zu finden. Er sei vor rund 55 Jahren im Internat von einem Ordensmann missbraucht worden. Eine Aufarbeitung des Ordens, geschweige denn eine Entschuldigung des Ordens, hätte es bis heute nicht gegeben.

Mitschuld der Gemeinden

In einer Betroffenen-Initiative setzt sich Kock dafür ein, dass Betroffenen geholfen wird und sie ihre Rechte wahrnehmen können. Er zweifle mitunter am Aufklärungswillen der Kirchenleitung.

In der Diskussion sprachen die Teilnehmenden auch über das Versagen der Gemeinden. Das katholische Milieu habe nie Kritik am Priester geduldet. Selbst wenn über Vorfälle „gemunkelt“ wurde, habe man nur selten die Integrität des Priesters in Zweifel gezogen.

Vorbildliche Präventionsschulungen

„Zum Glück leben wir heute in einer anderen Zeit, in der wir hoffentlich besser den Kindern und Jugendlichen zuhören. Die Präventionsschulungen machen uns alle sensibler. In dieser Hinsicht handelt die Kirche jetzt vorbildlich“, sagte ein älterer Teilnehmer, der viele Jahre in der Jugendarbeit und in Sportvereinen aktiv war.

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