Anzeige
Es war eine Begegnung der Generationen, als Julia Klesel sich mit Schwester Mechthild an einen Tisch setzte. Die 27-jährige Studentin der katholischen Theologie und die 70-jährige Hiltruper Missionsschwester sprachen im Mutterhaus des Ordens im Süden von Münster mehr als vier Stunden miteinander. Thema: Wie war das, als die Ordensfrau 1988 für acht Jahre als Sozialarbeiterin in das peruanische Hochland ging?
Das Interview, das Klesel führte, sollte einen von vielen Schätzen sichern. Etwa 2500 Akten über die Missionszeit von Ordensschwestern und -brüdern aus dem Bistum Münster stehen im Keller der Fachstelle Weltkirche. Dokumente, Briefe oder Festschriften – alles, was nach 1950 über die Arbeit der Ordensleute in der Mission bekannt ist, ist dort abgelegt. Aber: Die Informationen enden zumeist bei den grundlegenden Daten und Fakten. Die wirklichen Lebens- und Missionsgeschichten dahinter sind nicht erfasst.
Nur noch wenige können berichten
Schwester Mechthild berichtete aus ihrer Missionszeit in Peru. | Foto: Michael Bönte
„Genau die drohen aber, gerade verloren zu gehen“, sagt Uli Jost-Blome, der die Fachstelle bis zum Jahr 2020 leitete. „Vielleicht ein Zehntel der Schwestern und Brüder können heute noch berichten.“ Er hat ein Projekt angestoßen, das die Schätze dieser Geschichten heben soll. In der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster hat er dafür Unterstützung gefunden. Seit einigen Semestern schreiben Studierende ihre Abschlussarbeiten über dieses Thema. Im Zentrum stehen Interviews mit Missionarinnen und Missionaren aus früheren Zeiten.
Die Master-Arbeit von Klesel ist mittlerweile fertig. „Mission in schwierigen Zeiten“, heißt sie und beleuchtet den Weg von Schwestern nach Peru, Brasilien und El Salvador. „Oral History“ heißt der Ansatz, sagt die Studentin. „Es geht um Zeitzeugen als Quelle, deren Erinnerungen möglichst unverfälscht gesichert werden, um damit Rückschlüsse auf größere Entwicklungen schließen zu können.“
Gottvertrauen in der Fremde
Die Erinnerungen der Schwestern haben sie beeindruckt. „Ihr Entschluss in Zeiten großer politischer Wirren nach Lateinamerika zu gehen, war mutig – sie arbeiteten dort nicht selten unter Lebensgefahr.“ Aus den Gesprächen hat sie viel von dem Gottvertrauen heraushören können, mit dem sich die Ordensfrauen in die Fremde aufmachten. In ihrem Fazit wird das erkennbar: „Das ist das nachkonziliare Verständnis von Mission: Überall hingehen, auch in gefährliche und belastende Situationen – das ist herausfordernd.“
Sie hat in den Gesprächen von Erlebnissen erfahren, an denen Menschen „wachsen, aber auch zerbrechen und verzweifeln können“. Bei Schwester Mechthild hat sie dabei unter anderem beeindruckt, wie sie ihre Familie daheim vor Ängsten schützen wollte. „Sie hat ihnen kaum etwas von den Extremsituationen erzählt – auch als im direkten Umfeld jemand von den revolutionären Kräften in Peru hingerichtet wurde und sie selbst in Lebensgefahr war.“ Solche Berichte haben ihr viel vom befreiungstheologischen Ansporn der Schwester erzählt, von ihrem Ziel, die Rolle der Frau in der peruanischen Gesellschaft zu verbessern, auch von ihrem religiösen Auftrag, zu den Armen zu gehen. „Wenn du das aus der Lebensgeschichte eines Menschen erfährst, ist das viel intensiver als aus einem Sachbuch.“
Schwester reflektiert eigene Missionsgeschichte
Auch Schwester Mechthild hat die Zusammenarbeit mit der Studentin beeindruckt. „Als ihre Anfrage kam, war ich aber auch ein wenig verunsichert.“ Warum sollte die Geschichte einer Ordensfrau plötzlich einen solchen Stellenwert bekommen? „Das passt eigentlich nicht zu unserer Zurückhaltung und Bescheidenheit.“ Aus den Fragen konnte sie aber bald heraushören, worum es letztlich auch ging: „Große politische und gesellschaftliche Zusammenhänge können auch mit kleinen, persönlichen Geschichten erklärt werden.“
Das galt auch für sie selbst, sagt Schwester Mechthild. „Auch ich habe durch die Fragen meinen eigenen Weg in einen größeren Zusammenhang stellen und noch einmal reflektieren können.“ Durchaus kritisch, gibt sie zu: „War das alles richtig? War unser Verständnis von Mission in Ordnung? War es sinnvoll, was wir gemacht haben?“ Fragen, die sie sich vielleicht nie gestellt hätte, wäre da nicht das Projekt der Fachstelle Weltkirche, das in Lebensgeschichten wie von Schwester Mechthild einen wertvollen Schatz sieht, der gesichert werden muss.