Sommerserie: Glaube zu Fuß – Pilgerwege im Bistum Münster (5)

Mit dem Smartphone durch Oldenburg pilgern

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Dieser Pilgerweg durch Oldenburg wird als spiritueller Stadtrundgang beworben, hat aber wenig von klassischen Pilgerwegen in der freien Natur: Autolärm, Menschenmengen, Abgase - und merkwürdige Gebäude zur Besinnung. Warum es sich trotzdem lohnen kann, ihn zu gehen.

Der Pilgerweg durch Oldenburg beginnt in der Fußgängerzone. Aus dem Café an der Ecke dringt Baulärm, neben der Bettlerin vor der Bäckerei sucht ihr dreibeiniger Hund Schatten. Menschen strömen in eiligen Schritten über die Straße. Besinnlich? Keine Spur. Auch der Pilger macht nicht diesen Eindruck, er muss sein Smartphone ans Ohr halten.

Der Pilgerweg durch Oldenburg beginnt vor dem Lappan. Früher war das der Kirchturm einer Krankenhauskapelle, dann Wohngebäude, heute Sitz der Tourist-Information und ein Wahrzeichen der Stadt. Das erfährt der Pilger nach sanfter Klaviermusik von der Stimme eines einheimischen Schauspielers. Touristenwissen. Und so lässt sich „Oldenburg spirituell entdecken“?

Vor drei Jahren neu

So kündigt es das Faltblatt an, das diesen „alternativen Stadtrundgang“ bewirbt. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Oldenburg hat ihn vor drei Jahren erarbeitet, mit Texten von Geistlichen, zwei oder Minuten lang und nur digital verfügbar.

Zum Beispiel über das Smartphone des Pilgers. Die Stimme schlägt am Lappan den Bogen von der wechselvollen Geschichte der Kirche zur weltlichen Nutzung heute. Sie fragt den Pilger: „Geht das auch mit Menschen?“ Nur noch weltlich nutzen? „Wo war ich Gott nahe, wo habe ich mich entfernt?“ Und gibt den Weg zur zweiten Station vor, mitten durch die Fußgängerzone.

Gebäude regen an

Das ist der Stil dieses digitalen Pilgerwegs: Gebäude als Anregung, neu über sein Leben und grundlegende Fragen nachzudenken. Gott nah oder fern? Darüber denkt man zwischen Modekaufhaus und Geschirrladen selten nach. Die Passanten heute anscheinend auch nicht.

Wenn man ihre angespannten Gesichter betrachtet. Vielleicht die junge Frau an der nächsten  Ecke? Die Zeugin Jehovas steht vor einem Plakat „Warum beten?“ und strahlt vor Freude.

Oft genug sind es überraschende Fragen, die die Stimme mit auf den Weg gibt. Vor Gebäuden, die der Pilger sonst eher achtlos betrachtet auf dem Weg zwischen Buchladen und Bistro.

Zehn Stationen

Aber es sind nagende Gedanken, auf die man vor so unauffälligen Gebäuden wie dem Niedersächsischen Landesarchiv sonst nie gekommen wäre. Von dem der Pilger sogar mit einem Psalmwort auf den weiteren Weg geschickt wird. Ob Hafen oder Seniorenzentrum, Staatstheater oder Pulverturm, Lambertikirche oder Gerichtsviertel – der Blick ist bei allen zehn Stationen immer anders und überraschend neu.

Teile des Weges zieht der Pilger entlang einer der wichtigsten Durchgangsstraßen. Autolärm dröhnt in den Ohren, an der nächsten Ecke liegt der Punkt in Oldenburg mit der höchsten Kohlendioxid-Belas­tung. Pilgern ist hier eindeutig ungesund. Aber wer sagt, dass Pilgern ein Spaziergang und mühelos sein muss?

Einfach unauffällig

Inzwischen regnet es, das beschleunigt den Schritt des Pilgers zur letzten Station. Die liegt am Waffenplatz, vor 200 Jahren das Waffenlager einer Bürgerwehr.

Heute ein Platz, an dem man auch bei angestrengtem Nachdenken nichts Ungewöhnliches oder gar Schönes finden kann. Ein Parkhaus an der einen Seite, vereinzelt Geschäfte an der anderen, kaum Menschen zu sehen. Warum hier wohl die zehnte Station ist und der Pilgerweg endet?

Die Botschaft aus dem Smartphone rät zum Nachdenken über die eigene Bedeutung, über ein Schattendasein. Wie es dieser Platz vielleicht fristet, wie es manche Menschen vielleicht bei sich vermuten. Aber der Pilger kommt nicht zum tieferen Nachdenken über diesen Aspekt, denn der Sprecher kündigt plötzlich „ein Ausrufezeichen“ an. Und unvermittelt spricht er einen Segen über den Pilger, einen eindringlichen und ausführlichen Abschluss-Segen.

Auch Oldenburg-Kenner erfahren Neues

Dieser so deutlich fromme Akzent kommt unvermittelt, nach den eher ruhigen und nachdenklichen Texten an den neun anderen Stationen geradezu wie ein Paukenschlag. Er passt wenig zu diesem unauffälligen und langweiligen, heute verregneten Platz. Aber er bringt den Pilger noch einmal ins Nachdenken.

Sein Fazit: Der spirituelle Stadtrundgang hat etwas. Er bringt einen an vielleicht langweilige, sicher aber an angenehme Orte der Stadt, zu Wahrzeichen und unbedeutenden Ecken der Stadt. Der Pilger läuft gut 6.000 Schritte, er bekommt für jedes Wegstück eine gesonderte Frage zum Nachdenken.

Wer Oldenburg gut kennt, sieht diese Stadt trotzdem ganz neu. Wer Oldenburg überhaupt nicht kennt, bekommt einen ers­ten Blick, der neben der traditionellen Spur liegt. Der die lebendige Stadt überraschend besinnlich und fromm darstellt. Was könnte spannender sein? Informationen zum spirituellen Stadtrundgang unter www.ack-ol.de.

Hintergrund
Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Oldenburg hat vor drei Jahren diesen digitalen Pilgerweg veröffentlicht. Der Grundgedanke: „Entdecke altbekannte Orte neu. Lass Fragen auf dich wirken, die viel zu selten gestellt werden.“ Auf dieser Grundlage wurde ein spiritueller Stadtrundgang mit zehn Stationen in der Innenstadt von Oldenburg erarbeitet. Pilger gehen ihn mit dem Handy an den Ohren – denn die Erklär-. und Besinnungstexte sind über Youtube zu hören, gesprochen von Schauspielern des oldenburgischen Staatstheaters. Zu den Verfassern der Texte gehört auch Jan Kröger, damals Pfarrer in St. Marien Oldenburg und heute in Rheine.

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