Ein Mensch mit Biss und Botschaft

Neu-Diakon Urs von Wulfen: „Ich bin Papa, Rampensau und Gutmensch“

Anzeige

Urs von Wulfen bezeichnet sich selbst als strengen Familienvater, Rampensau und Gutmensch. Bald ist er auch Ständiger Diakon im Bistum Münster. Am Sonntag, 21. November, wird er mit fünf weiteren Kandidaten für das Ständige Diakonat im Paulusdom von Bischof Felix Genn geweiht.

Ein Satz von ihm lässt aufhorchen. Wenngleich fast alles, was er sagt, kernig ist. Urs von Wulfen liebt die Ironie, die Satire und das Augenzwinkern. Das ist sicher auch eine Berufskrankheit. Im Bistum Osnabrück ist er für die sozialen Medien zuständig, die er gern mit überraschenden Videos bedient. Seine „eiligenworte“, sein „elektrischer Mönch“ oder „Gottes Zorn“, die er als „Bodenpersonal“ formuliert, durchbrechen regelmäßig und vehement gängige katholische Sprach- und Präsentations-Klischees. Kurz vor seiner Weihe zum Diakon aber grätscht er mit einer Aussage in die Öffentlichkeit, die es richtig in sich hat: „Ich schäme mich auch ein wenig dafür, dass ich geweiht werde.“

Warum das? „Weil ich damit ein System stütze, in dem ich mit vielen Dingen nicht einverstanden bin.“ Es gibt einige Entwicklungen in der katholischen Kirche, die ihm gegen den Strich gehen: etwa bei Fragen der Macht oder des Umgangs mit Missbrauch. Bei der Rolle der Frau aber kann er richtig deutlich werden. In der ihm eigenen Art: „Es ist ein Skandal, wenn ich als Mann zum Diakon geweiht werde, obwohl ich viele Frauen kenne, die den Job viel besser machen könnten als ich.“

 

Anfällig für Applaus

 

Dass er so denkt, beruhigt ihn aber auch. „Ich bin früher durchaus selbst ‚klerophil‘ unterwegs gewesen“, sagt der 46-Jährige und meint seine Jugendzeit, in der er damit liebäugelte, Priester zu werden. „So der Prunk, das Brokat, das Emporgehobene fand ich schon klasse.“ Er, der nach eigener Einschätzung schon immer als „Rampensau anfällig für den Applaus war“, hätte selbst der Eitelkeit erliegen können, „ganz vorn am Altar im Mittelpunkt zu stehen“.

Mittlerweile hat er dagegen eher das Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen, als Geweihter in gewisser Weise aus der Menge herausgehoben werden zu können. „Für den Beifall werde ich nicht Diakon, sondern für die Menschen, die mich brauchen können.“ Und wieder findet Urs von Wulfen ein Bild mit einer Portion Zynismus. Dadurch aber auch ein besonders einprägsames: „Ich würde mich lieber in einem Obdachlosenheim weihen lassen – da gehöre ich vielmehr hin.“

 

Unsanfter Lebensweg

 

Dass er überhaupt diesen Weg einschlug, hat eine Lebensgeschichte, die wenig gradlinig oder gar sanft verlief. Sie hat ihn heute an einen Punkt geführt, an dem er für sich einen programmatischen Satz formulieren kann: „Ich weiß, dass die Kirche Menschen retten kann.“ Weil er es selbst erlebt hat. In einem Moment, in dem ihm drohte, den Halt zu verlieren, waren es Menschen der Kirche, die ihn auffingen, begleiteten und stärkten. „Ohne diesen Rückhalt damals wäre ich heute sicher in einer ganz anderen Situation.“

Damals, da war er acht Jahre alt. Sein Vater starb, seine Mutter ertrug den Verlust nicht. Das Leben glitt ihr aus den Händen, sie wurde suchtkrank. Von Wulfen und sein Bruder taten alles, um in der sauerländischen Kleinstadt ein wenig Familiennormalität zu retten. „Ich holte sie abends aus Kellerkneipen, bevor sie noch mehr trank.“ Irgendwann herrschte aber alles andere als Normalität. „Die zerbrochene Glastür daheim wurde nicht mehr repariert – wir wurden angerufen, weil sie volltrunken im Schnee gefunden worden war – das Leergut ihrer Flaschen war mein Taschengeld“, erinnert er sich an den damaligen Alltag. „Es war das reinste Chaos.“

 

Chaotisches Familienleben

 

Diakonenweihe
Kirche-und-Leben.de überträgt die Weihe der Ständigen Diakone aus dem St.-Paulus-Dom am Sonntag, 21. November, ab 14:30 Uhr live.

Seine Mutter starb in der Obdachlosigkeit. Zu diesem Zeitpunkt hatte von Wulfen längst ein zweites Zuhause gefunden, dessen Tür ihm noch sein Vater geöffnet hatte. „Geht weiter zur Kirche“, hatte er seinen beiden Söhnen mit auf den Weg gegeben. „Er war im Glauben immer standhaft gewesen, hatte große Zuversicht ausgestrahlt, war stets für andere Menschen da gewesen.“ Mit diesem Gefühl setzte sich sein jüngerer Sohn in jenen Jahren im Gottesdienst immer in die erste Bank. „Dort saß ich und wollte verstehen.“

Sein kirchlicher Weg war dabei alles andere als klassisch für einen Jungen im Sauerland. Keine Jugendgruppe, keine Verbandsarbeit, zu den Messdiener stieß er erst viel später. Die Kontakte zur Benediktiner-Abtei Königsmünster in Meschede hatten da schon größere Bedeutung. Dort entwickelt er seine „erste große Liebe“, wie er es nennt. „Ich wollte lange Zeit Mönch werden, auch Priester.“

 

Kloster als Gegenwelt zum Chaos

 

Das strikt geregelte Leben im Kloster empfand er als „Gegenwelt zu dem Chaos“, aus dem er kam. „Ich spürte aber, dass das nicht meine zentrale Motivation sein durfte.“ Also schlug er einen anderen Weg ein, wurde Sozialpädagoge, arbeitete in einem kirchlichen Bildungshaus und begleitete Jugendliche auf ihrem Weg in den Freiwilligendienst im Ausland. Vielleicht kam seine Entscheidung, sich zum Diakon weihen zu lassen, aber immer noch aus dem Gefühl jener Jahre, in denen er im Lebensrhythmus der Mönche eine Heimat gefunden hatte, sagt er. „Seine erste Liebe vergisst man nie.“

Diese Liebe nahm für ihn auf seinem weiteren Weg neue, konkrete Konturen an: „Das Soziale, das Diakonische, die Hilfe für Menschen, denen es nicht so gut geht.“ Seine eigenen Erlebnisse waren sicher Triebfedern. Er fühlte sich immer dort wohl, wo die Not sichtbar wurde – etwa Stadtviertel, in denen er nicht lange danach suchen musste. „Hochhäuser sind meine Kulisse“, sagt von Wulfen. „Die brauche ich.“ Auch in seiner Heimatpfarrei St. Josef in Münster gibt es die.

 

Keine Schmerzgrenze im Einsatz für andere

 

Was ihm dabei immer wichtig ist: „Ich will nicht von außen kommen und sagen, was gebraucht wird – das wissen die Menschen selbst besser.“ Der Impuls für seinen Einsatz soll von denen kommen, für die er als Diakon da sein möchte. Da will er offen sein. „Eine Schmerzgrenze habe ich keine“, sagt er. „Ich habe schon im Studium in der Altenpflege gejobbt.“ Nichts, was Menschen erleben, möchte er von sich fern halten. Das klingt alles sehr ehrgeizig, fast heldenhaft. Ist er ein echter Gutmensch? „Ich befürchte es.“ Das sagt er lachend. Um weniger später ernst darüber nachzudenken. „Ist doch komisch, dass diese Bezeichnung in Deutschland einen schlechten Beigeschmack hat.“

Warum aber braucht er für dieses Engagement eine Weihe? Bei dieser Frage muss der schlagfertige Medienmensch tatsächlich einen Moment überlegen. Dann nickt er. „Es ist kein magischer Akt, aber eine Verpflichtung.“ Er fügt lächelnd hinzu: „Es ist wie heiraten – du stehst jeden Tag auf und musst von Neuem Ja sagen.“

 

Unromantischer, aber liebevoller Papa

 

Diese Situation kennt er längst. „Die meistere ich ganz gut.“ Mit seiner Frau hat er drei Kinder und bezeichnet sich im „Hauptberuf als Papa“. „Ein sehr konsequenter Papa“, sagt er. Ein Leitsatz seiner Erziehung lautet „Klare Grenzen“. „Ich bin keiner, der da romantisiert.“ Seine deutlichen Ansagen hätten bei so mancher Mutter auf dem Spielplatz schon zur „Schnappatmung“ geführt. Er könne aber auch oft ganz anders. „Dann bin ich der Drachenmonsterbär, der meine Kinder durch den Garten jagt.“ Da ist er dann nicht nur der liebevolle Vater, sondern auch wieder Entertainer, Rampensau.

Diese Eigenschaft zieht sich ohnehin durch sein Leben – wie eine zweite große Liebe. Schon in der Jugend entdeckte er seine satirische Ader. Während andere samstagsabends auf Partys gingen, saß er vor dem Radio und hörte die entsprechenden Sendungen. Später schrieb und sprach er selbst für den WDR. Sein erstes Thema hat er gut in Erinnerung. „Es ging um das Übergewicht vieler Bundeswehrsoldaten – da musste ich einfach etwas zu machen.“

 

Keine Effekthascherei

 

Von Wulfen steht gern auf der Bühne. Er liebt es, die „verrückte Welt“ spitzfindig zu entlarven – im Radio, im Internet, im Video. Dort wird sein Platz als Diakon aber nicht sein. Diese Eigenschaften gehören für ihn nicht in seinen neuen Dienst. „Ich will nicht am Grab stehen, um Applaus für meine Rede zu bekommen.“ Es soll kein Effekt sein, dem er nacheifert, sondern eine Botschaft, die er rüberbringen möchte: „Gott liebt dich unendlich und bedingungslos – egal, was passiert.“ So wie er es selbst erfahren durfte.

Anzeige