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Die frühere deutsche Russland-Kritik hat der ehemalige polnische Botschafter in Deutschland, Janusz Reiter, kritisiert. Präsident Wladimir Putin könne sich Russland nur als Imperium vorstellen, so Reiter. Der Ex-Botschafter und Publizist eröffnete die Vortragsreihe „Domgedanken“ im Dom in Münster.
Der ehemalige polnische Botschafter in Deutschland und den USA, Janusz Reiter, hat die frühere deutsche Russland-Politik kritisiert. „Deutschland beanspruchte die Rolle des Russland-Experten und Strategen in Europa und hat dabei viele gravierende Fehler gemacht“, sagte der Leiter des Zentrums für internationale Beziehungen in Warschau am Mittwochabend beim Auftakt der Vortragsreihe „Domgedanken“ im Dom in Münster.
Für Deutschland werde es nach Worten Reiters nicht einfach werden, sich von der „Tradition des Abseits-Stehens in internationalen Konflikten“ zu verabschieden. „Die Bundesrepublik muss sich in ihrer Führungsrolle neu erfinden“, forderte der frühere Diplomat. Sie müsse das aus Eigeninteresse tun, weil ihr Wirtschaftsmodell sich unter starkem Druck befinde.
Putin stellt sich Russland als Imperium vor
Diplomat Janusz Reiter sprach vor einem großen Publikum im Dom. | Foto: Simon Kaiser (pbm)
In seinem Vortrag zum Thema „Die Rückkehr der Geschichte – Europa im Realitätscheck“ bezeichnete Reiter es als Fehler, die Entwicklung in Russland als posttraumatischen Schmerz darzustellen. Präsident Wladimir Putin könne sich Russland nur als Imperium vorstellen und habe kein Interesse daran, dass sich das Land in Richtung Demokratie entwickele. „Unter rationalen Gesichtspunkten kann man sein Vorhaben der Eroberung der Ukraine nur als sinnloses Unterfangen verstehen“, mahnte Reiter.
Für Putin seien die prowestlichen Ambitionen des Nachbarlandes unerträglich, weil sie sich auch nach Russland ausbreiten könnten. Mit dem Krieg wolle er zudem einen Beweis der Stärke liefern, die für ihn ein hohes Gut sei. „Putin hat 20 Jahre lang in die Militarisierung der russischen Gesellschaft investiert“, hob Reiter hervor. „Die Kriegsbereitschaft dieser Gesellschaft ist in seinen Augen ein strategischer Vorteil.“
Putin für Schwächung der Nato
Auch habe der russische Präsident ein Interesse an der Schwächung und Auflösung der Nato. Sein Urteil über die Europäische Union ist nach Auffassung des früheren Botschafters dagegen noch offen und hängt von den EU-Ländern selbst ab. „Putin will nicht geliebt, sondern gefürchtet werden“, warnte Reiter. „Er will zurück zu einer Welt, in der Souveränität ein Privileg der Starken ist.“
Reiter war von 1990 bis 1995 Botschafter Polens in Deutschland und von 2005 bis 2007 in den USA. Sein Vortrag eröffnete die Reihe der Münsteraner „Domgedanken“. Sie steht in diesem Jahr unter dem Motto „Wem gehört die Welt?“. Zu den weiteren Referenten gehören unter anderen der Osteuropahistoriker Karl Schlögel und der Publizist und Bestseller-Autor Stefan Aust.