Anzeige
Irene Block ist beim Caritas-Verein Altenoythe (Kreis Cloppenburg) zuständig für Seelsorge. Sie erklärt, was die Pandemie für die rund 2.000 Menschen mit Behinderungen dort bedeutet hat und immer noch bedeutet. Und sie beschreibt, wie sie ihre Arbeit darauf eingestellt hat.
Frau Block, ist nach den Impfungen beim Caritas-Verein Altenoythe Normalität zurückgekehrt?
Dass mittlerweile fast alle geimpft sind, hat natürlich total Auftrieb und Hoffnung gebracht. Aber die Vorsichtsmaßnahmen sind ja dadurch nicht aufgehoben: Schnelltests, Fiebermessen, Abstand, Masken... Das alles lässt ja noch nicht das „alte Leben“ und die Gewohnheiten und Abläufe in bekannter Form zu.
Ist die Pandemie für Menschen mit Beeinträchtigungen eine größere Herausforderung als für andere?
Natürlich löst die Pandemie bei allen Menschen Angst oder Verunsicherung aus. Die Geduld, die Zuversicht und die Hoffnung trotz aller Einschränkungen und Maßnahmen weiterhin zu bewahren – das ist wohl die große Herausforderung dieser Zeit, die es für alle Menschen gleichermaßen zu bewältigen gilt.
Können Sie sagen, was für Menschen mit Behinderung anders ist?
Ich erlebe bei den Menschen mit Beeinträchtigung sehr oft eine tiefe Gelassenheit und das Vertrauen, dass alles gut wird. Auch ist eine Dankbarkeit für die alltäglichen Dinge spürbar, verbunden mit bewusstem Wahrnehmen dessen. In den Gesprächen und möglichen Begegnungen zeichnet sich oftmals eine bescheidenere Erwartungshaltung an das Leben ab. Sicherlich beeinflusst den Einzelnen die Sorge, um die finanzielle und berufliche Zukunft nicht so ausgeprägt wie oft andere. Berührend sind aber immer wieder die tiefe Dankbarkeit und die bescheidenen Ansprüche. „Es geht mir gut“ höre ich oft in Videogesprächen. „Ich habe alles, was ich brauche“ und - an mich gerichtet: „Pass gut auf dich auf!“
Was belastet beonders?
Für viele Bewohner sind, wie gesagt, die Kontaktverbote nur schwer aushaltbar. Begegnungen mit Familienangehörigen und Freunden und die Freiräume im Sozialraum sind ja auf das Minimum reduziert. Alle Freizeitangebote, die alltägliche Freude bereiten und in den öffentlichen Raum gehen, sind untersagt. Dazu kommen die Veränderungen in gewohnten Abläufen, Wechsel des Arbeitsplatzes, andere Arbeitsgruppen oder geteilte Klassen. Altbewährte Strukturen, die sich über lange Zeit aufgebaut und verinnerlicht haben, verändern sich in allen Bereichen: von der Kinderkrippe bis zur Seniorengruppe. Diese Veränderungen haben einen großen Einfluss auf das Wohlergehen und Gleichgewicht der seelischen Verfassung.
Was vermissen Ihre Beschäftigten und Bewohner am meisten?
Vertraute Menschen und Begleiter. In der Phase des ersten Lockdowns zum Beispiel durfte ja niemand von außen in die Wohnheimen kommen. Das war für alle eine harte Zeit.
Irene Block (Mitte) bei einem Gesprächskreis in der Werkstatt des Caritas-Vereins Altenoythe. | Foto: Michael Rottmann
Und Sie? Was fehlt Ihnen bei der Arbeit besonders?
Das gemeinsame Singen im Unterricht, die Projektchöre, die lebendigen Gottesdienste, die Unbeschwertheit. Die Spontanität, einfach miteinander unbefangen umgehen zu können, sich zu begegnen und Gespräche zu führen, die Gemeinschaft und die Berührungen. Der Alltag, der bestimmt ist durch „Achtung!“ und „Vorsicht!“, erschwert die Seelsorge, denn Nähe und Gemeinschaft sind nicht erlaubt. Seelsorge ist damit aber nicht unmöglich, nur anders.
Wie sehen Sie die Rolle der Seelsorge?
Seelsorge ist in diesem Jahr der Pandemie gefragter denn je. Aber auch sie musste sich eben auf die besonderen Bedingungen der Pandemie einstellen.
Was ist anders geworden?
Was früher mit vielen Teilnehmern möglich war, geht heute nur noch in kleineren Gruppen oder Einzelgesprächen. Das bedeutet aber einen erheblich höheren zeitlichen Aufwand. Um trotzdem für möglichst viele da zu sein, braucht es ein ganz straffes Zeitfenster und Strukturen. Der persönliche Kontakt, wie auch immer er sich umsetzen lässt, ist unersetzbar.
Welche neuen Ideen und Formate haben Sie entwickelt?
Da es keine Gesprächskreise mit persönlichem Kontakt mehr geben kann, biete ich zum Beispiel unter dem Namen „Redezeit“ Einzelgespräche per Videokonferenz an. Daneben gibt es die „Offene Kirche“. Dabei hatten wir im Advent an zwei aufeinander folgenden Tagen die Kirche geöffnet als Raum der Besinnung und Einstimmung auf das Fest. Zu jeder vollen Stunde sind angemeldete Gruppen zu Wortgottesfeiern gekommen. Jede Feier hatte eine andere Atmosphäre und ihrem ganz besonderen Charme. Darüber hinaus biete ich noch „Klang der Seele“ an, eine Trommel-AG, unter den Maßnahmen der Pandemie umsetzbar. Ein weiteres Angebot, „Gottes Schöpfung erleben“, wird gerne angenommen. Die Vorbereitung auf die Erstkommunion wird im Einzelunterricht durchgeführt. Dazu haben wir in dieser Zeit einige Impulshefte zu Bibeltexten angefertigt, die in leichter Sprache geschrieben und mit Piktogrammen bebildert sind.
Auch mit Youtube-Videos hält Irene Block Kontakt zu den Menschen mit Behinderung. | Foto: Screenshot
Gibt es weitere Online-Angebote?
Da ist zum Beispiel die Videoreihe „Impulse der Zeit“ auf Youtube. Dafür suche ich Themen, die zur Stimmung der Zeit passen und im Kirchenjahr an der Reihe sind. 25 solcher Impulse sind bereits gedreht und veröffentlicht. Die Wohngruppen nutzen diese Impulse oft für ihren Wochenend-Gottesdienst und schauen sie gemeinsam. Auch senden wir regelmäßig kleine jahreszeitbezogene Einheiten an die Schülerinnen und Schüler.
Wie unterscheidet sich Seelsorge per Internet vom persönlichen Kontakt?
Die Seelsorge per Internet ist schon anstrengend, da ich immer wieder neu einen Zugang zu den Menschen finden muss, ohne wirklich persönliche Nähe. Diese Formate helfen aber, der Seelsorge auch in dieser kontaktarmen Zeit einen Zugang zu jedem Menschen zu verschaffen. Und umgekehrt ermöglicht diese Form auch allen, Seelsorge zu empfangen. Und deshalb sind sie wichtig. Somit machen wir das Beste aus der Situation und hoffen mit Gottes gutem Segen irgendwann dann wieder in vollem Umfang sinnvolle Seelsorge zu ermöglichen.
Wie könnten diese Erfahrungen Ihre Arbeit dauerhaft verändern?
Diese Zeit werden wir nie vergessen. Vielleicht erwächst daraus mehr Demut und Bescheidenheit sowie die Besinnung auf das wirklich Wichtige im Leben. Die Menschen mit Beeinträchtigung sind da gute Lehrer für mich!
Der 1967 gegründete Caritas-Verein Altenoythe hält in seinen mehr als 40 Einrichtungen rund 1.200 stationäre, teilstationäre und dazu etwa 800 ambulante Plätze vor. Im Verein und seinen angeschlossenen Gesellschaften sind mehr als 800 Mitarbeiter beschäftigt. Damit ist der Caritasverein die größte Einrichtung der Behindertenhilfe im Kreis Cloppenburg.