Johannes Norpoth zu Medienschelte, Missbrauch und Segnungsfeiern

Statt Orientierung in der Krise desaströses Leitungsversagen der Kirche

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Gleich dreimal haben Papst und Bischöfe in den letzten Tagen gezeigt, wie weit weg sie von der Lebensrealität der Menschen sind, meint Johannes Norpoth im Gast-Kommentar. Das sei fatal, nicht nur für die Kirche. 

In der Krise muss die Leitung Orientierung geben. Das gilt für alle Organisationen. Stattdessen müssen wir in kontinuierlicher Regelmäßigkeit feststellen, dass dieser Grundsatz nahezu spurlos an der katholischen Kirche vorbeizugehen scheint.

Da macht sich eine Delegation deutscher Journalisten auf den Weg nach Rom. Das wohl wichtigste Ziel: Eine Audienz bei Papst Franziskus aus Anlass des 75. Jubiläums der Gesellschaft katholischer Publizisten. Man mag zu Papsttum und aktuellem Pontifikat kritisch stehen: Eine solche Begegnung ist auch heute noch eine ganz besondere Auszeichnung – für die Teilnehmenden wie für den Verband.

Papst-Schelte für Medien, die doch aufklären

In seiner Rede konfrontiert er die Anwesenden mit einer besonderen Medienschelte: Franziskus mahnt zur Wahrheit. Wie war das noch mit Splitter und Balken? 

Er ermahnt jene Journalisten, die unermüdlich der Wahrheit nachgespürt haben über den Missbrauch, über Vertuschung und Strafvereitelung. Die all die sonst im Verborgenen gebliebenen, menschenvernichtenden Taten katholischer Kleriker ans Licht gebracht haben.

Er formuliert einen Anspruch, den seine Kirche und seine Leitungsebene nicht im Ansatz in der Lage ist, gerecht zu werden. Er fordert eine Tugend und Haltung ein, die über Jahrzehnte bis heute von seiner Kirche mit Füßen getreten wird. 

15-Sekunden-Segen und viel Zeit für Missbrauch

Der Autor
Johannes Norpoth, Diplom-Sozialwissenschaftler, ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, im Synodalen Ausschuss und Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz.

Da wird in Rom eine Handreichung zur Segnung von Paaren veröffentlicht, die im ersten Augenschein Dialogbereitschaft und einen Funken Hoffnung signalisiert. Hinter vatikanischen Mauern scheint doch die Lebensrealitäten dieser Zeit wahrgenommen zu werden. Wenige Tage später, womöglich selbst zutiefst erschrocken über die eigene Zugewandtheit, wird das kleine Pflänzchen schnell plattgetreten. Maximal 10 bis 15 Sekunden dürften die hier in Rede stehenden Segnungen dauern.

Ob sich in Rom schon einmal jemand Gedanken darüber gemacht hat, wieviel Zeit Kleriker damit verbracht haben, Missbrauchstaten zu planen, zu begehen, zu vertuschen und deren Bestrafung zu vereiteln und das auch heute noch tun?

Blockierende Bischöfe

In Deutschland haben die Bischöfe ein System zur Anerkennung des Leids installiert. Seitdem ist alle Kritik nahezu teflonartig abgeperlt. Nachdem nun weltliche Gerichte deutlich machen, dass die bisherigen Beträge zu niedrig sind, blockieren dieselben Bischöfe das eigene System. Zuletzt Bischof Meier aus Augsburg, der sich weigert, einen Beschluss der UKA umzusetzen.

Nur drei Beispiele aus den letzten Wochen. Alles Beispiele, die belegen, dass diese Krise eine der Leitung, eine des Bischofsamtes ist. Eben das Bischofsamt, das auch in diesem Jahr wieder die Massenflucht der Menschen, die ihrer Kirche den Rücken zudrehen, beklagen wird. Eine Massenflucht, die auch auf dem bekannt desaströsen Krisenmanagement fußt.

Orientierung und Perspektive

Es braucht endlich eine Kirchenleitung, die den Menschen Orientierung und Perspektive gibt. Und das durch eine zugewandte, die heutigen Lebenswelten akzeptierende Kirche. Eben eine Kirche, die sich als einladende, hörende, lernende und begleitende Gemeinschaft versteht. 

Ein Blick in diese Zeit macht deutlich: Selten war eine solche Perspektive notwendiger denn je – für die Kirche selbst wie auch für diese Welt!

In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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