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Die katholische Kirche braucht eine Kehrtwende. Wenn allerdings das Führungspersonal weiterhin untätig bleibt, wird der Massenexodus weitergehen, erklärt Betroffenenvertreter Johannes Norpoth in seinem Gast-Kommentar.
Das Landgericht Köln hat in seinem Urteil zur Klage eines Missbrauchsopfers neue Maßstäbe gesetzt. Es hat nicht nur eine bedeutende Schmerzensgeldsumme ausgeurteilt. Auch die grundsätzliche Haftung der Bistümer ist nun gerichtlich festgestellt. Natürlich sind Urteile zu Schmerzensgeldklagen immer individuell; es steht aber zu erwarten, dass weitere Gerichtsentscheide die hier begonnenen Tendenz fortsetzen werden und damit deutlich wird: Was Kirche aktuell den Missbrauchsopfern zugesteht, ist eines mit Sicherheit – eindeutig zu wenig!
In Anbetracht der Öffentlichkeit, die solche Prozesse gegen den deutschen Episkopat immer mit sich bringen, und den sich auch daraus resultierenden massenhaften Austrittsbewegungen sollte man annehmen: Das Führungspersonal wird alles daran setzen, diese öffentliche Zurschaustellung von fehlender Empathie und Unprofessionalität endlich zu beenden.
Tatenloses Führungspersonal
Aber leider steht zu befürchten, dass es absehbar nicht zur dringend notwendigen Kehrtwende kommt. Eine Kehrtwende, die nicht nur für die Betroffenen, sondern auch und gerade für die Kirche selbst notwendiger denn je ist. Denn jeder neue Fall von Missbrauch, Vertuschung und fehlender Betroffenenorientierung – und jede Klage eines Missbrauchsopfers drückt ja Letzteres aus – befeuert die Massenflucht aus der katholischen Kirche.
Und das Führungspersonal? Es tut wenig bis nichts, außer sich in Lippenbekenntnissen zu ergießen. Dafür kann aber weder das in Folge des Traumas erwerbslose Missbrauchsopfer den eigenen Lebensunterhalt bestreiten. Noch bringen solche Sonntagsreden das in dieser Zeit so dringend notwendige gesellschaftliche Grundvertrauen zurück.
Handelt die Vollversammlung der Bischöfe?
Der Autor
Johannes Norpoth, 56 Jahre, Katholik und Diplom-Sozialwissenschaftler, ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, im Synodalen Ausschuss und Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz.
In diesen epochalen Umbrüchen und Krisen braucht es dringend eine werteorientierte Instanz, die das Vertrauen der Gesellschaft genießt. Es braucht damit eine der Lebensrealität der Menschen zugewandte Kirche, die das Vertrauen der Menschen auch verdient!
Ende September besteht für die Bischöfe mal wieder die Möglichkeit, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und aus verzagten Sonntagsreden endlich ins Handeln zu kommen: Es tagt die Vollversammlung der Bischofskonferenz und natürlich findet sich das Thema Missbrauch auf der Tagesordnung. Vorschläge, Entscheidungsoptionen und Expertenratschläge liegen auf dem Tisch.
Bischöfe müssen entscheiden
Mutig entscheiden und handeln können und müssen nur sie: die Bischöfe! Für Betroffene ebenso wie für die Kirche und ihre Menschen.
Weiteres ängstliches Taktieren der klerikalen Führungselite schadet eben nicht nur den Betroffenen. Es schadet auch der Kirche. Die Massenflucht der Menschen fußt ja zum großen Teil auf der Unfähigkeit zur nachhaltigen und betroffenenorientierten Krisenbewältigung. Die explosionsartigen Steigerungsraten der Austritte sprechen eine deutliche Sprache. Und die sollten Bischöfe doch eigentlich verstehen!
In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.