Ursula Nothelle-Wildfeuer: Drastischer Rückgang von Studierenden und Kirchen-Mitarbeitenden

Theologischer Nachwuchs fehlt: Personalverlust heißt Potenzialverlust

Anzeige

Priester wechseln zur altkatholischen Kirche, Pastoralreferentinnen quittieren den Dienst - und in den Hörsälen fehlen Studierende wie Lehrende. Eine fatale Entwicklung für die Zukunft der Kirche, sagt Ursula Nothelle-Wildfeuer, Theologie-Professorin in Freiburg, in ihrem Gastkommentar.

Katholisch-theologische Fakultäten erleben einen dramatischen Rückgang der Studierendenzahlen, Doktorand:innen der katholischen Theologie gibt es zunehmend weniger, von Habilitand:innen ganz zu schweigen. Die Zahl der Priesterkandidaten pro (Erz-)Diözese lässt sich leicht an einer Hand abzählen, eine zweite braucht man selten dazu. Eine Analyse der komplexen Ursachen ist an anderer Stelle zur Genüge geleistet worden – an der Theologie als Wissenschaft liegt es jedenfalls nicht. Spannende Forschungsfragen, gute Forschungsbedingungen und universitäre Forschungsverbünde bieten hinreichend attraktive Möglichkeiten.

Die im Zusammenhang mit einem Studium so oft gestellte Frage „Was möchtest du damit mal machen?“ wiegt hier ungleich schwerer: In der Kirche arbeiten – das können sich nur noch sehr wenige junge Menschen vorstellen. Als Religionslehrer:in vor der nächsten Generation für diese Kirche einstehen, das können und wollen viele schlichtweg nicht mehr.

Geändertes Arbeitsrecht reicht nicht

Die Autorin
Ursula Nothelle-Wildfeuer, Professorin für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Freiburg, beschäftigt sich mit vielfältigen Fragen nach Gerechtigkeit in der Gesellschaft sowie nach der Präsenz und Glaubwürdigkeit der Kirche in der Gesellschaft.

Was geht der Kirche an Potenzial verloren? An Menschen, die einen wertvollen Beitrag leisten könnten zur kreativen Übersetzung der Frohen Botschaft in die Sprache unserer Zeit, an Verbindung zu fragenden, suchenden und kritisierenden Zeitgenoss:innen, die der Kirche helfen könnten, das Evangelium, das sie verkünden will, besser zu verstehen.

Aber mehr noch: Nicht nur der kirchliche und theologische Nachwuchs bleibt aus, es gehen auch Seelsorger:innen, Priester, Gemeinde- und Pastoralreferent:innen aus dem Dienst. Und es sind wahrlich nicht die Schlechtesten, die das sinkende Schiff verlassen. Die Änderung der Grundordnung ist sicher ein wichtiger Schritt, aber reicht das, wenn in den Gemeinden selbstständiges Arbeiten der nicht-geweihten Mitarbeiter:innen immer noch abhängig bleibt von der Gunst des jeweiligen Pfarrers, wenn ohne Rücksicht auf Menschen und Gemeinden Pfarrer abgesetzt und XXL-Gemeinden durchgesetzt werden? Reicht das, wenn Beratung und Mitsprache, Partizipation und Eigenverantwortung letztlich Fremdworte bleiben?

Für manche ist der Weg in angrenzende Diözesen nicht weit, wartet doch dort gegebenenfalls ein weiteres Feld und ein offeneres Klima. Für andere liegt der Weggang in Wirtschaft und Gesellschaft nahe, denn die umfassende Kompetenz der bestens qualifizierten Theolog:innen ist gefragt. Kirche – wann wachst du auf?

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Anzeige