Themenwoche: Fasten – ich doch nicht! Oder doch? (1)

Verzicht auf Süßes? Konditor Ralf Ilgemann: Bei uns ist Hochkonjunktur!

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Auf Süßes zu verzichten, fällt wohl vielen spontan als Fastenvorsatz ein. Da schlägt Konditormeister Ralf Ilgemann verständlicherweise die Hände über dem Kopf zusammen. Seine Erfahrung zeigt: So verbreitet ist die Idee nicht.

Hier ist das Paradies. Oder die Vorhölle. Ganz sicher aber die schönste Versuchung überhaupt. Ohnehin jeden Tag im Jahr, ab Aschermittwoch umso mehr. Und so wundert es nicht im Ansatz, dass Ralf Ilgemann zu einem Gespräch über Fastenzeit und Verzicht ausgerechnet einen Osterhasen mitbringt. „Selbst gemacht, heute Morgen erst, unsere neueste Kreation“, sagt er, grinst und präsentiert einen großen und einen kleinen mit diversen Sprenkeln in allen Farben des Regenbogens. „Graffiti“, heiße der Style des Jahres. „Wir entwerfen jedes Jahr einen neuen Osterhasen, mit immer neuem Design.“ In diesem Jahr eben „Graffiti“. Sweet.

Ralf Ilgemann hat ganz offensichtlich einen teuflischen Spaß daran, in seinem „Café Classique“ in Münster der Tradition von Verzicht und Buße edelbitter zu kontern. Hinter ihm 35 verschiedene Torten, an Sonntagen 65, dazu 30 Pralinensorten, 70 Plätze drinnen, 80 Plätze draußen – jedenfalls dann, wenn das Wetter wieder mitspielt.

“Das wäre ja geschäftsschädigend!”

Themenwoche: Fasten – ich doch nicht! Oder doch?
Weniger essen, weniger Alkohol, weniger Süßes, weniger Internet – und dem Körper Gutes tun: So sehen viele Vorsätze für die Fastenzeit aus. Doch wie sehen Menschen auf die Fastenzeit, die ständig mit Essen und Genuss, Training und Smartphone zu tun haben? Kirche+Leben hat vier besucht. 

„Der beste Tag im Jahr ist bei uns Karfreitag“, triumphiert der Tortenkönig, „da haben wir immer 160 Reservierungen – und jeder Gast kann maximal eine Stunde bleiben, sonst klappt das alles nicht.“ Das Geheimnis des Erfolgs am höchsten christlichen Fast- und Abstinenztag: „Struwen, was sonst?“, lacht Ilgemann, „nach dem Rezept meiner Mutter, einer sehr frommen Frau!“ Sogar in der Coronazeit konnten sich die Leute das traditionelle münsterländische, in Fett gebackene Hefegebäck abholen – „und es gab eine meterlange Schlange vorm Café-Fenster“, erzählt der katholische Konditor.

Für ihn selber ist klar: „Bei mir persönlich gibt‘s keine Fastenzeit, jedenfalls keine, bei der ich auf Süßes verzichten würde. Das wäre ja geschäftsschädigend!“ Ohnehin falle die Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern genau in die Phase, „wenn der Frühling allmählich wiederkommt und die Menschen es genießen, endlich wieder draußen sein zu können – an der Sonne und frischer Luft bei Kaffee und Kuchen“. Auf der Terrasse sei das die Zeit, in der es betriebswirtschaftlich wieder richtig losgeht. „Das ist für uns Hochkonjunktur! Ich als Selbstständiger muss dann richtig Gas geben.“

Gottesdienst wiederentdeckt

Wenig Zeit für Fastenzeit. Gläubig ist Ralf Ilgemann dennoch. „Ich war als Kind Messdiener in St. Joseph Münster-Süd, war später Gruppenleiter“, erzählt er. Doch mit seinem Zeitplan als Konditor war vieles nicht mehr möglich – gerade sonntags, wenn die Leute ins Café gehen. Seine Beziehung zur Kirche wurde nochmals schwieriger, als er sich als schwul outete. Heute haben er und sein Mann durch die Queergemeinde Münster und das Format „Feiern wir“ um Pfarrer Karsten Weidisch neu zur Kirche gefunden.

„Von daher versuche ich, in der Fastenzeit bewusst sonntags den Gottesdienst mitzufeiern“, sagt Ralf Ilgemann, dann wird er grundsätzlich: „Und wenn man denn unbedingt fasten will, kann man doch bitte auf Fleisch verzichten – aber um Gottes willen nicht auf Süßes!“

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