Exklusiv für „Kirche-und-Leben.de“

Weihnachtsbitte von Stephan Wahl aus Jerusalem: Geh uns unter die Haut!

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Exklusiv für „Kirche-und-Leben.de“ schreibt der Priester und Autor Stephan Wahl eine Weihnachtsbitte aus Jerusalem und fordert: Geh uns unter die Haut!

Schönes Licht, rote Kerzen, 
Zimtduft.
Advent, Weihnachten,
wäre so schön, wenn nicht…

Die Welt ist schön, 
ohne Nachrichten.

Augen zu, 
Lametta drüber, 
Füße hoch und Kerze an, 
heißa, bald ist Weihnachtstag.

Aber sie sind da, 
die störenden Bilder. 
Wir haben versucht uns loszureißen,
aber sie haben uns nicht losgelassen.

Keine Krippenromantik
im realen Bethlehem,
kein Ochs und Esel,
kein Knabe im lockigen Haar.

Es ist Krieg.

Bomben fliegen, Raketen,
Flüchtlinge fallen auf ihrem Weg, 
Kinder abgeschlachtet wie Vieh,
ganze Familien unter Trümmern 
begraben,

Geiseln festgehalten in perfider Strategie.
Menschen zerstört
durch Hass und Terror.

Soviel Tränen,
soviel Angst,
soviel Hass.
Gott hat dem Menschen die Welt
in die Hände gegeben
und sie ist ihm in die Hände gefallen.

Wann wird geheilt der zerrissene Friede,
wann erschreckt der Mensch über sich selbst, 
schaudern ihn seine blutbefleckten Hände? 
Wann? 
Wer durchbricht den grausamen Kreislauf, 
der Schmerz mit Schmerz vergilt? 
Wer bändigt die Fäuste des Bösen, 
wer bindet sie, endgültig? 
Wer richtet die Zerschundenen auf, 
stillt ihre verzweifelten Schreie?

Ewiger, hast du das Land verlassen, 
das wir das heilige nennen,
das blutgetränkte, so oft unheilige Land? 
Wie immer antwortest du nicht,
hüllst dich in dein rätselhaftes Schweigen, 
gibt es dich überhaupt noch?
Warum stützt du nicht meinen
stolpernden Glauben,
erlöst mich nicht von 
meinem nagenden Zweifel?

Nimm diesen lautlosen Schrei
als mein zitterndes Gebet, 
mehr kannst du nicht verlangen,
meine Tränen kriegst du als Zugabe.

Einst bist du herabgestiegen
in diese Welt, 
diese verrückte Herberge. 
Ohne Einladung. 
Wurdest Mensch.
Unter Unauffälligen und Schrillen, 
Freunden und Feinden,
Musterfamilien und Beziehungschaoten, 
Heiligen und Gaunern, 
herzlich Fröhlichen 
und abgrundtief Traurigen.
Glaubenden 
und Zweiflern.

Hilf uns auch jetzt zu sein,
wer wir sein sollen.
Fahr uns in die Knochen,
geh uns unter die Haut,

denn unsere eigene Kraft ist zu schwach,
unser Wille ist zu gebremst,
unsere Fantasie reicht nicht weit genug,
Unsere Hände sind zu geballt, 
unsere Herzen sind zu verfettet,
unsere Augen sind zu verheult.

Zeig deine Macht, 
lösche die Feuer, 
die Besonnenen stärke, 
die Grausamen schwäche.

Und lass uns nicht hassen, 
trotz aller Wunden, 
damit die Hoffnung auf Frieden 
in uns nie erlischt.

Der Autor:
Stephan Wahl lebt seit 2018 als Priester und Autor in Jerusalem. Mit seiner Poesie knüpft er an die Tradition der Psalmen an, die menschliche Erfahrungen verdichtet Gott entgegenhalten – so auch dieser Text, den er exklusiv für „Kirche-und-Leben.de“ schrieb. Besonders bekannt wurde sein „Ahr-Psalm“, mit dem er die Flutkatastrophe 2021 in seinem Heimatbistum Trier thematisierte. 

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