Caritas-Beratungsstellen erleben großen Zulauf

Wenn die explodierenden Nebenkosten Menschen Angst machen

  • Immer mehr Menschen lassen sich bei der „Allgemeinen Sozialberatung“ der Caritas im Oldenburger Land beraten.
  • Die Menschen hätten Angst vor der nächsten Abrechnung und den Nebenkosten.
  • Unter den Hilfesuchenden seien viele Rentner.

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In ihrer Beratungsarbeit haben sie schon vieles erlebt: die zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der „Allgemeinen Sozialberatung“ der Caritas im Oldenburger Land. Aber was sie jetzt hören und sehen, ist für viele neu, heißt es in einer Mitteilung des Landes-Caritasverbands.

Sarah Junge aus Delmenhorst beispielsweise berichtet: „Die Menschen fürchten sich vor der kommenden Abrechnung.“ Noch nie habe sie so viele Lebensmittelgutscheine verteilt. Bei der Delmenhorster Tafel erlebe sie lange Schlangen. Ihre Beobachtung: „Ein Versorger pro Familie reicht nicht mehr.“

Energiekosten sind Dauer-Thema

Eine Mutter habe sie vor Augen, die Bezüge vom Jobcenter erhalte. Ihr Kind musste die Frau regelmäßig zur Logopädie bringen. Die Fahrkarte dorthin hätte sie sich nicht mehr leisten können, sagt Junge. Und berichtet von Kindern, für die es gegen Ende des Monats nur noch ältere Waffeln zu essen gab.

In 80 Prozent der Fälle tauche das Thema Energiekosten auf, berichtet Jennifer Brodhagen vom Caritasverband Wilhelmshaven. Nicht selten erscheinen junge Alleinstehende in ihrer Sprechstunde. Aber auch einsame Ältere, die sich überfordert fühlen.

Einen „enormen Zulauf“ verzeichnet Annika Ricke aus Löningen. Das Thema Energiekosten tauche auch bei ihr in fast jeder Beratung auf. Mit einer kleinen Rente sagt eine ältere Person: „Ich habe Angst. Helfen Sie mir dann, wenn ich Hilfe brauche?“ Ihre Klienten stellen einen Querschnitt der Gesellschaft dar. Noch immer aber seien Trennung und Scheidung ein Armutsrisiko. Fehlender bezahlbarer Wohnraum käme obendrauf.

„Wenn am Ende des Geldbeutels noch viel Monat da ist“: Die Not ist in den Caritas-Beratungsstellen angekommen. | Dietmar Kattinger
„Wenn am Ende des Geldbeutels noch viel Monat da ist“: Die Not ist in den Caritas-Beratungsstellen angekommen. | Foto: Dietmar Kattinger (lcv)

Psychische Probleme nicht selten

Dass Klienten manchmal einfach einen Gesprächspartner bräuchten, berichtet Beraterin Gerlinde Sieve (Vechta). Auch alleinstehende Männer mit Migrationshintergrund fände sie unter ihren Klienten.

Vermehrt psychische Probleme bei ihren Klienten beobachtet Seda Kahraman (Caritas im Kreis Wesermarsch). Immer öfter seien es Senioren, die kämen. „Und solche, die Angst haben davor, beim Ausfüllen eines Antrags etwas falsch machen zu können.“

Rentnern fällt Gang zur Beratung schwer

Rentner, die früher 400 Euro Abschlag zahlen mussten und heute 1.000 Euro, seien es, die auch Dorles Löning (Caritas Oldenburg) vermehrt in ihren Beratungsräumen sehe. Manche kämen mit der Entschuldigung: „Ich komme nur, weil ich gerade zufällig in der Nähe war.“ Überhaupt falle es älteren schwer, in eine Beratung zu kommen. „Was bin ich Ihnen schuldig?“, fragten sie am Ende häufig. Oder auch: „Soll ich Ihnen die Briefmarke bezahlen?“, mit der die Beraterin einen Brief losschickt.

Eine Tendenz bei alten Menschen, die Judith Block (Caritas-Sozialwerk Friesoythe) noch verschärft beobachtet. Senioren mit 1.100 Euro Rente hätten keinen Anspruch auf Unterstützung, würden aber von Energiekosten dennoch aufgefressen. So komme es vor, dass eine über 70-Jährige noch zwei Putzstellen hätte.

Nebenkosten „fressen“ Ersparnisse auf

Block: „Dazu kommt, dass sich bei Rentnern nichts mehr ändert. Da kommt nichts mehr dazu.“ Sie kenne Menschen, die nur noch einen Raum in ihrer Unterkunft heizen.

Allen Beraterinnen ist klar: „Ersparnisse haben definitiv die wenigsten unserer Klienten.“ Auch hätten die Caritas-Mitarbeitenden früher dazu geraten, hier und da noch zu sparen. Heute wissen sie: „Es gibt für unsere Personengruppe kaum noch Möglichkeiten mehr, zu sparen.“ Verschärft werde das Problem dadurch, dass arme Menschen oft einfache, schlecht isolierte Wohnungen hätten, deren Nebenkosten sie manchmal „regelrecht auffressen“.

Für die Zukunft rechnet Dietmar Fangmann, Fachberater beim Landes-Caritasverband für Oldenburg, damit, dass immer mehr Menschen aus der Mittelschicht zur Caritas kommen werden. Fangmann: „Es geht inzwischen nicht mehr um die Kinokarte für den Sohn, die nicht mehr bezahlt werden kann. Inzwischen geht es um Lebensmittel.“

Eine „Allgemeine Sozialberatung“ der Caritas gibt es im Oldenburger Land in: Brake, Cloppenburg, Damme, Delmenhorst, Friesoythe, Löningen, Oldenburg, Vechta und Wilhelmshaven. Informationen im Netz unter: lcv-oldenburg.de

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