„Theater Damme Berge“ bringt Nazizeit auf die Freilichtbühne

Wie sich das Oldenburger Land gegen das Nazi-Regime zur Wehr setzte

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Der Verein „Theater Damme Berge“ führt 2022 ein besonderes Stück unter freiem Himmel auf. Bei den Dammer Domfestspielen unter dem Titel: „Vom Jungen, der Hitlers Pläne durchkreuzte“ ist der Oldenburger Kreuzkampf von 1936 Thema. Der erfahrene Autor Bernd Kessens hat das Stück geschrieben und führt Regie.

So stellt Bernd Kessens es sich vor: Im Hintergrund der Bühne steht ein Chor, gekleidet in einfache Kleidung der 1930er Jahre. Voller Begeisterung singt er „Fest soll mein Taufbund immer stehen“. Plötzlich marschieren aus dem Parkett Trompeter zur Bühne, in braunen Uniformen. Sie blasen aus Leibeskräften „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen“, das „Horst-Wessel-Lied“, Parteihymne der Nazis. Die Trompeter marschieren auf die Bühne, übertönen schließlich den Kirchenchor. Chor und Schauspieler ziehen sich zurück. Die Bühne gehört den Trompetern, die Nazihymne hat sich gegen das Kirchenlied durchgesetzt.

„Die Trompeter treiben praktisch alle Menschen von der Bühne. Mit Lärm statt mit Argumenten. So haben die Nazis es doch gemacht.“ Bernd Kessens hat sich in Begeisterung geredet. Er sieht das Bild schon vor seinen Augen. Dabei steht die erste Probe noch bevor. Für das Theaterstück „Vom Jungen, der Hitlers Pläne durchkreuzte“, bei den Dammer Domfestspielen, aufgeführt unter freiem Himmel auf dem Kirchplatz von St. Viktor Damme, acht Mal ab dem 15. September 2022. Bernd Kessens ist Autor und Regisseur.

 

Ein Hauch von Oberammergau

 

Den Chor auf der Bühne wird der Kirchenchor von St. Viktor spielen, die Trompeter kommen von Musikvereinen im Ort. Auch die Schauspieler sind Freizeitkünstler, Menschen aus Damme und Umgebung, Mitglieder im Verein „Theater Dammer Berge“. Ein Hauch von Oberammergau im Kreis Vechta.

Das Theaterstück greift den Oldenburger Kreuzkampf im November 1936 auf, als sich die Menschen in Südoldenburg gegen die Landesregierung wehrten. Die wollte die Kreuze aus den Volksschulen entfernen. In einer regelrechten Massenbewegung zwangen die Menschen die Regierung, nach wenigen Tagen ihren Erlass wieder zurückzunehmen.

 

Atmosphäre der Nazizeit einfangen

 

Das Stück habe aber nicht den Kreuzkampf selbst als Thema, betont Kessens. Der diene als Hintergrund, die Atmosphäre der Nazizeit auf dem Land einzufangen, gezeigt wie unter einem Brennglas in einer kleinen Volksschule.

Dort treffen junge Lehrerinnen auf einen Nazi-Rektor und einen offen denkenden Lehrer, auch die Schülerschaft ist gespalten. Bis ein Junge heimlich ein Hitlerbild in der Schule bemalt, dem Diktator Teufelshörner aufsetzt.

 

Historischer Kern der Geschichte

 

Diese Geschichte hat Bernd Kessens von einem 89 Jahre alten früheren Lehrer-Kollegen gehört, sie ist historisch. Auch die Szene, in der eine junge Lehrerin von einem hohen Geistlichen zum Widerstand gegen die Nazis gemahnt wird, hat sich so zugetragen. Seine Mutter habe die selbst erlebt und ihm erzählt, berichtet Kessens. Die Hauptdarstellerin trägt deshalb auch ihren Vornamen: Klara. Kessens fasst zusammen: „Der Kreuzkampf ist noch lebendig im kollektiven Bewusstsein der Region.“

Der frühere Deutschlehrer schreibt Bücher und Theaterstücke mit regionalem Bezug; seit 2005 führt er sie mit dem Verein „Theater Dammer Berge“ auf. Dieses Mal will er zeigen, wie normale Menschen einer Kleinstadt auf dem Land in der Nazizeit vielleicht handelten und handeln konnten – „für mich der Kern des Stücks“. Das in einem furiosen Finale gipfeln soll, an dessen Ende ein großes Kreuz auf der Bühne aufgerichtet wird und die Glocken der Viktorkirche läuten. „Besonders eindrucksvoll“, sagt Bernd Kessens, und seine Augen leuchten erneut. Seine große Hoffnung: Ein Stück über diese Zeit zu schreiben, „das noch heute den Nerv der Menschen treffen könnte.“

Stichwort Kreuzkampf: Die NS-Landesregierung im Freistaat Oldenburg ordnete am 4. November 1936 an, alle Kreuze aus staatlichen und kirchlichen Schulen zu entfernen. Die Menschen setzten sich sofort zur Wehr. Bei einer Kundgebung im Wallfahrtsort Bethen protestierten 3.000 Menschen. In den Dörfern wurden Mitglieder der NSDAP verprügelt. Abordnungen aus den Gemeinden protestierten in Oldenburg bei der Regierung. Gauleiter Carl Röver fuhr zu einer Kundgebung in die Münsterlandhalle in Cloppenburg. Er kam vor fast 1.000 wütenden Menschen aber nicht zu Wort, zog den Kreuz-Erlass dann spontan zurück. Diese Form des Widerstands blieb einzigartig in Deutschland. In Goldenstedt (Kreis Vechta) flammte er 1938 noch einmal auf bei der Schließung einer katholischen Schule; hier reagierte das Regime mit Verhaftung und Konzentrationslager. (fjs)

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