Spitzen-Diplomat spricht zum Auftakt der Reihe "Domgedanken"

Wolfgang Ischinger in Münsters Dom: Sicherheitspolitik liegt in Trümmern

  • Der frühere Botschafter Wolfgang Ischinger blickt kritisch auf die deutsche Sicherheitspolitik.
  • "Wir stehen außen- und sicherheitspolitisch vor einem Trümmerhaufen", sagte der Präsident des Stiftungsrats der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz in Münster.
  • Er sprach zum Auftakt der Reihe "Domgedanken".

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Der frühere Botschafter Wolfgang Ischinger blickt kritisch auf die deutsche Sicherheitspolitik. "Wir stehen außen- und sicherheitspolitisch vor einem Trümmerhaufen", sagte der Präsident des Stiftungsrats der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz am Mittwochabend im Rahmen der Reihe "Domgedanken" in Münster.

Die deutsche Politik habe von 1949 bis zum Zusammenbruch der DDR darauf gesetzt, die Teilung Deutschlands zu überwinden. Mit der Wiedervereinigung sei der Ansatz beendet und von der politischen Überzeugung abgelöst worden: „Wir sind von Freunden umgeben.“

„Leichter, einen Krieg anzufangen als ihn zu beenden“

Deutschland habe seitdem Russland als Partner betrachtet, erläuterte Ischinger. Weder der russische Einmarsch in Georgien 2008 noch die Besetzung der Krim 2014 und die provozierten Unruhen in der Ostukraine hätten zu Umkehr der deutschen Sicherheitspolitik geführt.

„Es ist leichter, einen Krieg anzufangen als zu beenden“, stellte der frühere deutsche Botschafter in London und Washington fest. Derzeit sehe er keine Anzeichen für eine diplomatische Lösung im Ukraine-Krieg.

„Keine Anzeichen für nahes Kriegsende“

Wer realistisch sei, könne nicht erwarten, dass in den kommenden Wochen dieser Krieg überwunden werden kann, führte Ischinger aus. „Ernsthafte Verhandlungen werden nur und erst dann möglich sein, wenn auf beiden Seiten – in Moskau ebenso wie in Kiew – die Erkenntnis gereift ist, dass der weitere Einsatz militärischer Mittel nichts mehr bringt.“

Es gebe wenig Anzeichen dafür, dass die russische Militärführung mit dieser Ansicht im Kreml vorstellig geworden sei oder vorstellig werde. Im Gegenteil: „Wir müssen fürchten, dass man im Kreml denkt: Das halten wir noch eine Weile länger aus als die Ukraine und der Westen.“

Der Einfluss der US-Wahl 2024

Man müsse sogar davon ausgehen, dass Moskau das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl 2024 abwarte: Würde ein anderer Präsident als der jetzige gewählt, könne das „für den weiteren Kriegsverlauf eine ganz entscheidende und für Russland möglicherweise positivere Wende“ haben.

Gleichwohl sei es sinnvoll, sich mit diplomatischen Schritten zu beschäftigen. Die Bildung einer Kontaktgruppe wie zur Lösung des Kosovo-Krieges könne ein erster Schritt sein.

Die „Domgedanken“ befassen sich noch bis zum 6. September jeweils mittwochs um 18.30 Uhr mit dem Thema „Krieg! Und Frieden?“. Sie werden live im Internet übertragen, „Kirche-und-Leben.de“ übernimmt den Stream. Nächster Referent am 16. August ist der Historiker Jürgen Osterhammel.

Update 16.30 Uhr: Bericht wesentlich erweitert.

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