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Vor wenigen Tagen hat Georg Möllers den Vorsitz im Stadtkomitee der Katholiken in Recklinghausen übernommen. Er löst Gustav Peters ab, der viele Jahre das Gremium der katholischen Laienvertretung geleitet und aus Altersgründen nicht wieder kandidiert hat. Auch in Zeiten der Kirchenkrise sieht Möllers keinen Grund, sprichwörtlich „die Flinte ins Korn zu werfen“ und im Engagement nachzulassen. Im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“ spricht der Stadtkomitee-Vorsitzende über Missbrauch, Kirchenaustritte und darüber, was ihm für die Zukunft der Kirche Mut macht.
Herr Möllers, wenige Tage vor der Veröffentlichung des Gutachtens der Universität Münster zum sexuellen Missbrauch an Minderjährigen im Bistum Münster haben Sie den Vorsitz im Stadtkomitee der Katholiken übernommen. Wenig später dann wurden die Zahlen zu Kirchenaustritten 2021 bekannt gegeben. Was empfinden Sie, in dieser Zeit der „Negativ-Schlagzeilen“ und der Verunsicherung an der Spitze der katholischen Laienvertretung in Recklinghausen zu stehen?
Der Missbrauch von Minderjährigen, der eklatante Vertrauensbruch und Versagen derer, die die Opfer hätten schützen und gegen die Täter hätten vorgehen müssen, war und ist immer noch ein Schock. Er ist es auch deshalb, weil es allem widerspricht, was Geist der Botschaft Jesu und der Kirche ist. Für mich ist der Schock auch deshalb so groß, weil er im Gegensatz zu den Erfahrungen steht, die ich mit engagierten Christen, glaubwürdigen Priestern und Ordensleuten in meiner Kirche gemacht habe.
Wie bewerten Sie das Gutachten zum Missbrauch und die hohen Kirchenaustrittszahlen?
Vor dem Zweiten Weltkrieg waren in Deutschland etwa zwei Drittel der Einwohner protestantisch, ein Drittel katholisch. Im Jahre 2022 sind – auch durch Zuwanderungen aus anderen Kulturkreisen – bei einer Bevölkerung von 83 Millionen – noch rund 19,7 Millionen protestantisch und 21,8 Millionen katholisch. Die Säkularisierung und Individualisierung finden also seit Jahrzehnten statt. Es geht in Westeuropa um eine Erosion der Plausibilität christlicher Glaubensüberzeugungen und der Bindungen an Gemeinden, denen der Austritt folgt. Der Missbrauchsskandal an sich und als mediales Dauerthema hat diese Entwicklung dramatisch beschleunigt. Das Gutachten des Bistums Münster war ein schmerzhafter, aber wichtiger, offener und ehrlicher Schritt. Eine solche Aufarbeitung des Zeitraums seit 1945 ist bisher einzigartig und sollte auch Vorbild sein für eine überfällige gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Missbrauch in staatlichen, gesellschaftlichen und privaten Bereichen. Die eindeutige Stellungnahme von Bischof Felix Genn und die Konsequenzen, die er daraus zieht, haben mich überzeugt.
Wie kann man heute noch mit Begeisterung katholisch sein?
Die menschenfreundliche Botschaft Jesu hat nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Ihr folgen 1,2 Milliarden Menschen in aller Welt, die unserer Kirche angehören. Die Vielfalt des Glaubenslebens und des Engagements für Menschenrechte, Weltgerechtigkeit, Bildung, Gesundheit ist präsent „bis an die Enden der Erde“. Christen waren und sind die Pioniere der Unterstützung der Armen und Kranken. Das „Gasthaus zum Hl. Geist“ in Recklinghausen stammt aus dem Spätmittelalter, das Prosper als ältestes Krankenhaus im Vest konnte nur mithilfe der Clemensschwestern gegründet werden. Das ist weltweit zu beobachten. Das Caritas-Baby-Hospital in Bethlehem, das ich besuchte, ist das einzige für die Palästinenser. Die Franziskaner in unserer Partnerstadt Akko oder in Bacabal/Brasilien, die ich kennenlernen durfte, sind in der Bildungs- und Friedensarbeit engagiert. Zum Kern gehören der Schutz von Gottes Schöpfung und all seiner Geschöpfe, die tätige Liebe gegenüber dem Nächsten und damit der Einsatz für seine Rechte und der Geist der Freiheit gegenüber allen Absolutheitsansprüchen menschlicher Machthaber und menschenverachtender Ideologien. Das verändert die Welt – täglich.
Sie engagieren sich seit Jahrzehnten auf unterschiedlichen Ebenen in der Kirche und gelten als profunder Kenner der regionalen Kirchengeschichte. Was treibt Sie an, Kirche vor Ort zu gestalten?
Die Gemeinschaft mit Jesus Christus, wo „zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind“ ist unverzichtbar. Wir sind keine Einzelgänger, die allein im Tempel ihre Opfergabe einbringen. Die frühen Kirchen haben deshalb die Architektur normaler Versammlungsorte übernommen.
Deshalb sind kirchliche Gemeinde und Gemeinschaften vor Ort unverzichtbar – unabhängig von der Größe. Da sind wir – wieder einmal – im Umbruch. Aus zwei Pfarrkirchen (Recklinghausen und Suderwich) wurden in der Industrialisierungsphase 16 und in der Nachkriegszeit 20. Die „Kirchorte“ gibt es weiterhin – in nunmehr drei Pfarreien. Hinzukommen aber zahlreiche weitere Orte kirchlichen, karitativen Engagements, wie Schulen, Krankenhäuser, Sozialeinrichtungen von Caritas und SkF, das Gasthaus, das Jugendzentrum Areopag oder Second-Hand-Shops. Diese beeindruckenden Zeugnisse christlichen Lebens sind zugleich ein wichtiger Beitrag zum friedlichen gesellschaftlichen Zusammenleben unserer Stadt.
Welche Rolle kann das Stadtkomitee der Katholiken einnehmen, freiwilliges Engagement zu fördern?
Das „Stadtkomitee“ wurde nach den Impulsen des Konzils 1969 gegründet. Es ist seit seiner Gründung der Zusammenarbeit von Ehrenamtlichen sowohl aus Gemeinden wie Verbänden, Institutionen und auch Hauptamtlichen verpflichtet. Ich gehöre dem Vorstand seit 1986 an. Uns geht es immer darum, dass Ehrenamtliche selbstständig Ideen einbringen und Verantwortung übernehmen. Das ist auch ein Kern der Beschlüsse des „Recklinghäuser Stadtkonzils“. Dazu gehört auch die „Kultur der Anerkennung“, wie beim Ehrenamtsfest jetzt im Juni.
Vor wenigen Tagen kamen 350 Ehrenamtliche aus den Gemeinden von Recklinghausen zu einem Begegnungsfest zusammen. Es war der Rahmen, auf dem Sie auch Ihren Vorgänger Gustav Peters offiziell verabschiedet haben. Wie schätzen Sie die Motivation zur Übernahme einer kirchlichen Mitarbeit heutzutage ein?
Vereine, Parteien und andere gesellschaftliche Gruppen leiden unter dem Rückgang der Bereitschaft, über einen längeren Zeitraum zum Beispiel in Vorständen Verantwortung zu übernehmen. Das kann bei zeitlich überschaubarer Projektarbeit anders sein. Vor diesem Hintergrund ist das Ausmaß ehrenamtliche Engagements in der Kirche, wenn auch hier rückläufig, immer noch erstaunlich. Entscheidend dabei ist, dass diese Aktivität mit Eigenverantwortung und Wertschätzung verbunden wird. Das Ehrenamtsfest trafen sich Jung und Alt aus allen Stadtteilen mit einer beeindruckenden Fülle des Engagements in unterschiedlichen Bereichen – unverzichtbar für Kirche und Stadtgesellschaft.
Welche Pläne würden Sie gern mit dem Stadtkomitee und darüber hinaus mit den Pfarreien umsetzen?
Wir werden unsere Schwerpunkte in der nächsten Vollversammlung besprechen. Es gibt aber erste Vorschläge und es gibt Vorgaben. Dazu gehört die Umsetzung der Beschlüsse unseres „Recklinghäuser Stadtkonzils“ von 2017 zu den Themen „Gemeindeleitung“, „Jugend“, „Orte geistlichen Lebens“, „Arbeit bei christlichen Trägern“ und „Kommunikation“. Insgesamt wollen wir das unverzichtbare Miteinander von Gemeinde vor Ort und Gemeinsamkeit im „Pastoralen Raum Recklinghausen“ fortsetzen. Zudem haben wir uns als Kirche gesamtgesellschaftlich impulsgebend in die Eine-Welt-, Menschenrechtsarbeit und die Gedenkkultur unserer Stadt eingebracht. Auch das sollten wir weiterentwickeln.