Christian Schmitt zu sozialer Kälte und der Situation älterer Menschen

Auch beim Thema Suizid: Christen kämpfen gegen eine kalte Gesellschaft

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In der deutschen Gesellschaft wird es kälter, beobachtet Pfarrer Christian Schmitt vom Diözesan-Caritasverband Münster unter anderem mit Blick auf die Debatte zur Suizidbeihilfe. Er sieht die Christen gefordert, gegen diesen Trend zu arbeiten.

Der Klimawandel hat auch unsere Gesellschaft ergriffen. Nur, dass es hier kälter wird. Die Suizidzahlen steigen, seitdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 die Suizidassistenz erlaubt hat. Die meisten Suizidenten sind alt, einsam und leiden unter Schmerzen. In den Niederlanden sterben bereits mehr als sechs Prozent der Menschen durch Suizid oder Euthanasie - so heißt dort die Tötung auf Verlangen.

Der Druck, möglichst früh und kostensparend aus dem Leben zu scheiden, nimmt zu: Weniger Pflegekräfte, weniger pflegende Angehörige, mehr Pflegebedürftige und weniger Geld.

Der Sozialstaat wird schwächer

Der demografische Wandel fordert seinen Tribut: Anfangs kamen Kinder nicht ins Leben, jetzt wird es für die Alten knapp. Die demografische Entwicklung war schon lange klar. Sie wurde trotzdem ignoriert.

Wo führt das hin? Wir können nicht weitermachen wie bisher. Der Sozialstaat wird schwächer, weil die leistungserbringenden Arbeitskräfte weniger werden. Schon dadurch verändert sich das gesellschaftliche Klima. Wenn jetzt auch noch der Suizid normal wird, dann wird es normal, dass Menschen durch Tötung aus dem Leben scheiden.

Dann leben wir in einer Gesellschaft, in der das Leben für schwache und vulnerable Menschen nicht mehr selbstverständlich ist, sondern nur noch eine Option von zweien. Dann wird sich der hilfsbedürftige Mensch künftig rechtfertigen müssen, denn er könnte ja auch kostensparend aus dem Leben scheiden.

Den kranken Menschen Zeit widmen

Der Autor
Pfarrer Christian Schmitt ist Vorsitzender des Diözesan-Caritasverbands Münster.

Wenn Menschen ihr Leben schwer wird, dann braucht es nicht viel, um sie aus dem Gleichgewicht und auf die Suizidpiste zu bringen. Wir brauchen Menschen, die in die Beziehungen gehen.

Das kann nicht nur durch Profis abgedeckt werden. Pflege und Beziehung wird auch in Zukunft vor allem häuslich bleiben und durch Familie, Freunde, Nachbarn und ambulante Dienste geleistet werden.

Wenn wir unseren alten und kranken Menschen nicht selber Zeit widmen und uns das auch was kosten lassen, lassen wir sie schutzlos zurück. Der Weg der Kirche und ihrer Caritas wird das nicht sein! Lassen wir uns durch die gegenwärtige Krise der Kirche nicht täuschen: Unsere Gesellschaft braucht dringend echte Christen.

Herdfeuer der Nächstenliebe

Christen sind Menschen, die eine Sendung haben für andere. Bei den jüngeren Menschen wächst das Gespür dafür, ob jemand nur über Autonomie redet, um anschließend die Hilfsbedürftigen allein zu lassen, ober ob jemand Autonomie schützt, indem er sich für das Leben der Schwachen und Hilfsbedürftigen einsetzt und interessiert.

Nach dem Zusammenbruch der alten Kirche vor mehr als 200 Jahren waren es vor allem die Werke der Caritas, aus denen die Kirche wieder neu wurde. Vielleicht werden die Menschen wieder erkennen, was sie verloren haben, wenn in einer kalten Gesellschaft bei den Christen ein warmes Herdfeuer der Nächstenliebe brennt.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe
Menschen mit Suizidgedanken können sich an die Telefonseelsorge wenden. Sie ist unter den Rufnummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 täglich rund um die Uhr erreichbar. Sie berät kostenfrei und anonym. Der Anruf findet sich weder auf der Telefonrechnung noch in der Übersicht der Telefonverbindungen wieder. Es gibt auch eine E-Mail-Beratung. Der Mailverkehr läuft über die Internetseite der Telefonseelsorge und ist daher nicht in Ihren digitalen Postfächern zu finden. Hier geht es zur Telefonseelsorge.

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