Bernd Holtkamp aus Brake über die Arbeitsplatzbeschreibung eines Esels

Auslegung der Lesungen vom Palmsonntag (Lesejahr B)

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Mit dem Palmsonntag beginnt die Heilige Woche, in der des Leidens, Sterbens und der Auferstehung Jesu gedacht wird. Seinen Namen hat dieser Sonntag von den Palmzweigen, die Menschen ihm bei seinem Einzug in Jerusalem ausgebreitet haben. Doch wie mag es in seinem Innern ausgesehen haben? Damit beschäftigt sich Bernd Holtkamp, Pfarrer in Bakum, in seiner Schriftauslegung.

Sie strahlte über beide Wangen, jene beleibte Frau in Kittelschürze, der ich auf einer kleinen Pilgertour in der Nähe Roms begegnete: „Coraggio, Coraggio!” (nur Mut!), rief sie unentwegt und hieß mich mit ihrem heiteren Blick Platz zu nehmen auf dem Rücken ihres Begleiters: Ein Esel trottete ihr hinterher. An Mut fehlte es mir sicher nicht; die Sorge, das kleine Reittier könne unter der Last eines hochgewachsenen Norddeutschen elendig zusammenbrechen, war größer.

Die Müden und Trostlosen jener Tage, die Jesus mit einem „Hosanna!“ begrüßen, wissen das Zeichen zu deuten: Der langersehnte Friedenskönig hält endlich Einzug. Der Ruf „Coraggio!“ wäre auch angemessen gewesen. Denn der freudig Begrüßte wird geahnt haben, dass der Jubel kippen und in blanken Hass umschlagen wird.

 

Rohe Gewalt, treuer Diener

 

Die Lesungen vom Palmsonntag (Lesejahr B) zum Hören finden Sie hier.

Jesajas Worte über den Gottesknecht waren ihm ja vertraut. Sie lesen sich wie die Arbeitsplatzbeschreibung eines Esels. Vom hör- und lernbereiten Schüler ist da die Rede, der ganz Ohr ist für die Weisung Gottes; aber auch von roher Gewalt, mit der sich die scheinbar Mächtigen den demütigen und treuen Diener gefügig machen wollen.

Während der Apostel Paulus die Entäußerung und Erhöhung Christi von Ostern her in einem Lied komprimiert, gehen Markus und Johannes in ihren Passionen ins Detail und betonen je mit eigenem Akzent mal die Menschlichkeit, mal eher die Souveränität Jesu.

 

Ein Gesicht hart wie ein Kiesel

 

Jetzt, wo der Worte genug gewechselt sind, wo Jesus alles mitgeteilt hat, was er beim Vater gehört hat, wollen sowohl die Hosanna-Rufer als auch die Machthaber Taten sehen. Der Erwartungsdruck ist übergroß. Wie soll Jesus dem standhalten?

„Ich mache mein Gesicht hart wie einen Kiesel.“ Dem Gottesknecht wird Unerschrockenheit, ja sogar eine gewisse Sturheit zugeschrieben; letztere auch dem Esel; zu Unrecht. Denn Verhaltensforscher wissen: Der Esel, dessen natürlicher Lebensraum steinige Gebirge sind, ist klug und erstarrt nur in einem ganz bestimmten Fall: Wenn er Angst hat! Bei einer hastigen Flucht im Gebirge würde er sich alle Knochen brechen.

 

Hatte Jesus keine Angst?

 

Jesus flieht nicht, er ist konsequent, geht – auf erschreckende Weise – unbeirrt seinen Weg: Hat er denn keine Angst gehabt? So sehr mich die Souveränität des johanneischen Jesus beeindruckt, ich fremdle damit. Denn der Kreuzweg ist ja lang: der demütigende und erniedrigende Schauprozess, das mehrfache Zusammenbrechen und schließlich die Kreuzigung selbst. Jesus lässt es an sich geschehen; sein Gesicht hart wie ein Kiesel! Wie mag so ein Gesicht aussehen? Woher nährt sich eine solche Entschlossenheit?

Markus kann uns helfen. Im Garten Getsemani wird es noch einmal ganz still, der Mensch Jesus wird hellhörig und betet; ja, er hat auch Angst, ist betrübt bis zum Tode. Gerät die vermeintliche Gewissheit, „Ich weiß, dass ich nicht in Schande gerate“, jetzt doch ins Wanken?

Es scheint, als habe in jener Stunde jemand gerufen, nein, laut geschrien: „Coraggio, Coraggio! Während die Jünger schlafen, geht Jesus konsequent weiter.

 

Ein Spottkreuz mit Esel

 

Der Autor
Bernd Holtkamp, Pfarrer in St. Johannes Bapt. Bakum.
Bernd Holtkamp, Pfarrer in St. Johannes Baptist Bakum.

Etwa 200 Jahre später bringt ein Römer in einer Wandkritzelei zum Ausdruck, was er von einer solchen Unerschrockenheit hält. Das sogenannte Spottkruzifix vom Palatin zeigt einen Gekreuzigten mit einem Eselskopf und einen Beter, der dem Esel-ähnlichen Wesen Verehrung erweist. Darunter steht eine Erklärung: „Alexamenos betet seinen Gott an.“ Mit Hohn und Spott macht sich der Urheber lustig über den christlichen Glauben seines Zeitgenossen; und schuf zugleich unbewusst die erste bildliche Darstellung einer Kreuzigung überhaupt.

Ich kann das gut haben! Auch meiner Sympathie für den Esel tut dies keinen Abbruch.

 

Der lächelnde Christus

 

Ein spanischer Künstler des 16. Jahrhunderts fühlte sich von der Passion auf ganz andere Weise angesprochen und herausgefordert. Das Attribut „Gesicht hart wie ein Kiesel“ verkehrt er in sein Gegenteil. Der am Kreuz sterbende Jesus zeigt hier nun ein ganz friedliches, ja beinahe zärtliches Lächeln: „Cristo del sorriso – der lächelnde Christus” wird diese ausdrucksstarke Kreuzesdarstellung in der Nähe Pamplonas genannt.

Dass Jesus jemals gelacht habe, davon steht nichts im Evangelium. Und dann ausgerechnet hier am Kreuz? Ein sehr gewagtes Bildnis, das mich trotz allem berührt. Da stirbt einer, offenbar ganz in dem Vertrauen, dass er nicht in Schande bleiben wird; da stirbt einer, leise sprechend: „Coraggio, Coraggio!“

Sämtliche Texte der Lesungen vom Palmsonntag (Lesejahr B) finden Sie hier.

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