Stefan Hörstrup: Kreuzigungsrufe sind ganz aktuell

Auslegung der Lesungen vom Palmsonntag / Lesejahr B

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Die Geschichte von Palmsonntag ist für Jung und Alt an sich gut zu verstehen. Jesus reitet auf einem Esel in die Stadt und zeigt, welche Art König er sein will. Doch die Botschaft ist noch viel tiefgründiger, erklärt Pfarrer Stefan Hörstrup und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

Jedes Jahr stellt sich in unserer Pfarrei die Frage: Wie feiern wir den Palmsonntag? Konkret: Wie feiern wir diesen Tag so, dass wir die unterschiedlichen Erwartungen erfüllen und zugleich dem Festgeheimnis gerecht werden können? Der Palmsonntag ist schließlich das Tor zur Karwoche und zum Osterfest, hier wird in einer Feier kompakt vorweggenommen, was wir in den Kar- und Ostertagen feierlich bedenken: Tod und Auferstehung Jesu Christi, tiefer noch: Wir feiern, wie weit seine Liebe reicht und welche Macht sie hat.

Zugleich ist der Palmsonntag auch ein Fest für (kleine) Kinder und Familien. In den Kindergärten und von den Erstkommunionkindern werden Palmstöcke gebastelt. Natürlich wollen sie alle die bunten und oft aufwändigen Winkwerkzeuge bei der Palmprozession zeigen. In manchen Gemeinden läuft sogar ein echter Esel mit, bei uns wird ein hölzerner feierlich von vier Messdienern vorweggetragen.

Ein ganz anderer König zieht ein

Die Lesungen vom Palmsonntag / Lesejahr B zum Hören finden Sie hier.

Die Geschichte ist für Jung und Alt gut zu verstehen und durchaus faszinierend: Jesus reitet auf einem Esel – eben nicht hoch zu Ross – in die Stadt ein und die Menschen jubeln: Hosanna in der Höhe! Sie erkennen und spüren, dass hier ein ganz anderer König einzieht, als es die anderen Machthaber und Herrscher sind, einer, der nicht sich selbst, sondern die Menschen groß machen möchte.

„Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern … wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“, heißt es im Philipperhymnus in der zweiten Lesung. Diese „Bewegung nach unten“, die für uns Menschen zugleich ein Aufrichten und Groß-Machen bedeutet, kennzeichnet die Verkündigung, ja das Leben Jesu. Schon die Geburt im Stall macht diese radikale Menschwerdung deutlich, die Auswahl seiner Jünger zeigt die Wertschätzung für alle, auch die einfachen Leute und seine Hinwendung gerade zu den am Rand Stehenden, seien es Kranke, Aussätzige oder Sünder fordern gerade die Etablierten seiner Zeit zum Umdenken heraus.

Gottes eigener Maßstab

Kann es sein, dass Gottes Maßstab, sein Blick auf diese Welt nicht der Sicht entspricht, die wir gerne anlegen zur Bewertung anderer Menschen? Kann es sein, dass sein Blick der Liebe damals wie heute eine Herausforderung ist? So verbindet der Einzug in Jerusalem am Palmsonntag eben beides: Die königliche Vollmacht desjenigen, der Gott gleich ist, und seine Liebe zu uns Menschen, die menschliche Grenzen sprengt.

Deswegen mag ich es auch, dass der Palmsonntag vor allem von Kindern und Familien gefeiert wird: Vielleicht spüren die Kinder besonders, dass wir hier einen König feiern, der in diesen Kleinen ganz Großes sieht.

So weit geht die Liebe Gottes

Den Kindern und ihrer kürzeren Aufmerksamkeitsspanne wegen fehlt im Familiengottesdienst zumeist die Passion, also die Erzählung des Leidens Jesu bis zu seinem Begräbnis. Dabei ist dieser zweite Teil der Palmsonntagsfeier ebenso entscheidend und macht den ersten Tag der Karwoche erst zum wirklichen Tor auf Ostern hin. Denn während aus dem Jubel der Menge der Kreuzigungsruf wird und der Ehrerbietung dem König gegenüber Spott, zeigt sich wie weit ganz konkret Gottes Liebe geht: bis in den Tod.

Viel ist exegetisch diskutiert worden, ob die Menge vom Palmsonntag eine andere war als die vom Karfreitag; ich halte das für weniger entscheidend. Es zeigt sich mir vielmehr, dass es zu unserer menschlichen Natur gehört, dass wir oft intuitiv Wahres erkennen können – wie Christus als König – und trotzdem an Altem, immer da Gewesenem, an einer tragenden Ordnung festhalten wollen, die vom Neuen scheinbar bedroht wird.

Blick wird auf Jesus gelenkt

So muss der ans Kreuz, der in so eindeutiger Weise Gottes Liebe und Barmherzigkeit verkündet und gelebt hat. Er bedrohte zu sehr alte Ordnungen, aber vor allem mein altes Denken. Mich selbst oder die Meinung, ja Überzeugung meiner Gruppe infrage zu stellen, einen anderen Gedanken, eine andere Meinung zunächst als Bereicherung für das Gespräch zu begreifen oder retten zu wollen, fällt auch heute offenbar sehr schwer. Ganz im Gegenteil: Kreuzigungsrufe, Rufe nach Ausgrenzung und Abschottung sind ganz aktuell. 

Daher mag ich den Palmsonntag: Er lenkt den Blick auf Jesus, dessen Liebe ganz intuitiv berührt. Er öffnet die Karwoche, die dieses Geheimnis der Größe der Liebe Gottes feiert und er lässt auch mich wieder für einen Moment Kind sein, wenn ich rufen darf: Hosanna in der Höhe! 

Sämtliche Texte der Lesungen vom Palmsonntag / Lesejahr B finden Sie hier.

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