Landwirtschaft zwischen Umweltschutz, Handel und Verbraucherinteressen

Bauernpräsident Rukwied: Betriebe brauchen Entwicklungsperspektiven

Zukunft sucht Bauer: Wie sollen Landwirte zwischen Tier- und Naturschutz, Handelsansprüchen und Verbraucherverhalten zu überleben? Interview mit Joachim Rukwied, dem Präsidenten des deutschen und des europäischen Bauernverbandes.

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Zukunft sucht Bauer: Wie sollen Landwirte zwischen Tier- und Naturschutz, Handelsansprüchen und Verbraucherverhalten zu überleben? Wir haben uns mit Joachim Rukwied unterhalten, dem Präsidenten des deutschen und des europäischen Bauernverbandes.

Herr Rukwied, dem Bauernstand scheint es wie der katholischen Kirche zu gehen: Leere Ställe hier, leere Kirchen da. Folge: Hier die Hofaufgabe, dort die Zusammenlegung von Pfarreien. Fürchten Sie um das Ende der bäuerlichen Familienbetriebe?

Bäuerliche Familienbetriebe wird es mit Sicherheit auch in der Zukunft geben. Ich mache mir allerdings Sorgen um einen sich beschleunigenden Strukturwandel, der sich in den sinkenden Zahlen von Familienbetrieben widerspiegelt.

Nur einige Beispiele: Aktionsplan Insektenschutz, Düngeverordnung, Mercosur-Abkommen, Auflagen in der Tierhaltung: Wird den Bauernfamilien zu viel zugemutet?

Den Bauernfamilien wird sehr viel zugemutet, das stimmt. Deshalb ist es umso wichtiger, sie in die Entscheidungen mit einzubeziehen. Die Maßnahmen funktionieren schließlich nur mit uns Bauern. Außerdem muss bei der Forderung nach zum Beispiel höheren Tierwohlstandards auch ein höherer Preis dahinterstehen, und die Kunden müssen die angebotenen Produkte auch kaufen. Ebenfalls ist es wichtig, den Markt gegen Billigimporte zu schützen, hier sehen wir eine große Gefahr bei einem möglichen Abschluss des Mercosur-Abkommens.

Wie sehen Sie die Zukunft der familiengetragenen Landwirtschaft?

Unsere Familienbetriebe brauchen Entwicklungsperspektiven. Wir Bauern sind bereit, noch mehr Tierwohl und Naturschutz umzusetzen. Diese zusätzlichen Aufwendungen müssen aber über einen höheren Preis ausgeglichen werden. Außerdem braucht es eine höhere Akzeptanz der modernen Landwirtschaft.

Mit EU-Geldern wird hierzulande die landwirtschaftliche „Schwerindustrie“ gefördert. Wäre es nicht besser, den Großen in der Branche etwas zu nehmen und dafür den kleineren Familienbetrieben mehr zu geben?

Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass kleinere Betriebe über eine stärkere Förderung der ersten Hektare unterstützt werden. Dies ist schon heute der Fall. Zuschläge auf die ersten Hektare sind ein gutes Instrument, um die unterschiedlichen Strukturen der Betriebe zu berücksichtigen.

Zum einen hagelt es von allen Seiten Kritik: Pestizideinsatz, Überdüngung, Artensterben, Massentierhaltung. Bauern werden als Buhmänner der Nation abgestempelt. Macht Ihnen die Arbeit als Bauer – Sie bewirtschaften ja selbst einen Hof – noch Freude?

Natürlich macht mir die Tätigkeit als Landwirt nach wie vor große Freude! Wenn es zeitlich möglich ist, arbeite ich im Betrieb mit. Wir Bauern erwarten einen fairen und sachlichen Umgang – nur so kann es auch Gespräche auf Augenhöhe geben. Auch möchte ich betonen, dass unsere Bauernfamilien für die gedeckten Tische im Land sorgen.

Sie sind nicht nur Deutschlands oberster Bauernfunktionär, sondern auch auf EU-Ebene. Und dabei ist es kaum möglich, die Maximalforderungen eines Teils der Bauern gegenüber der Politik durchzusetzen. Ist das nicht auf Dauer frustrierend?

Ich sehe dies als Ansporn und setze mich weiterhin sehr gerne für die Bauernfamilien ein. Es gilt, stets möglichst viel für sie zu erreichen und am Ball zu bleiben. Auch wenn es manchmal Rückschläge gibt – nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

Gestern noch systemrelevant, heute Schuld an allem. So wird zum Beispiel die Landwirtschaft für das Artensterben mitverantwortlich gemacht. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass in Deutschland täglich über 80 Hektar Grund und Boden mit Asphalt, Beton und vielem anderen versiegelt werden. Das sind weit mehr als 100 Fußballfelder. Dieser Lebensraum fehlt Insekten, Vögeln und Tieren. Ist die Gesellschaft auf diesem Auge blind?

Wir sind nach wie vor systemrelevant! Ohne uns Bauernfamilien gäbe es kein Essen. Wir liefern somit die Lebensgrundlage für alle. Der Flächenverlust ist allerdings dramatisch, er entzieht den Betrieben ihre Grundlage ebenso wie den Insekten ihren Lebensraum. Ziel sollte es sein, den Flächenverlust auf ein Minimum zu reduzieren. Die von der Politik avisierten 30 Hektar pro Tag unterstützen wir. Trotzdem schmerzt mich als Landwirt der Verlust jedes einzelnen Hektars.

Ein ähnliches Denken war teilweise beim bayerischen Volksbegehren „Rettet die Bienen“ zu spüren. Während in den Rathäusern Millionen unterschrieben, drehte daheim der Rasenmäher-Roboter seine Runden und sorgte im Garten für nummerierte Grashalme. Machen es sich Leute zu leicht, wenn sie einerseits so viel Natur wie möglich haben wollen, andererseits ausschließlich Bauern für deren Erhalt in die Pflicht nehmen wollen?

Nur der kooperative Naturschutz kann die Lösung sein. Gemeinsam erarbeitete pragmatische und praktikable Lösungen können auch wirken. Es ist schlichtweg inakzeptabel, die Landwirtschaft als alleinige Verursacherin verantwortlich zu machen. Auch der Flächenfraß, die Lichtverschmutzung, die Mobilität und Schottergärten müssen thematisiert werden. Nur zusammen können wir etwas erreichen.

Der Naturschutzbund macht die industrielle Landwirtschaft in Deutschland, die auf einen möglichst hohen Ertrag pro Fläche und Tier setzt, für das Artensterben mitverantwortlich. Das Szenario des „stummen Frühlings“ kann niemand mehr leugnen. Was ist die praktische Antwort des Bauernverbandes auf Feld und Wiese?

Das Artensterben bereitet mir Sorge. Die Weltbevölkerung ist in den letzten 50 Jahren um rund vier Milliarden auf etwa 7,8 Milliarden angestiegen. Diese große Anzahl von Menschen beansprucht auch neuen Lebensraum und Lebensmittel. Die Folge war ein hoher Flächenverbrauch für Siedlungsbau und Infrastrukturmaßnahmen und die Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion. Diese gesamte Entwicklung hat sicherlich zum Artenrückgang beigetragen. Die Landwirtschaft versucht aktiv gegenzusteuern. Beispielsweise säen wir in Deutschland auf 230.000 Kilometern ein fünf Meter breites Blühstreifen-Band an – dieses reicht sechsmal um den Äquator. 

Verbraucher sollten mehr für Lebensmittel bezahlen, wenn sie eine Agrarwende wollen. Dieser Vorschlag nützt aber nichts, wenn im Verkaufsregal Produkte aus aller Welt zum Schleuderpreis angeboten werden. Haben Sie ein Rezept?

Lebensmittel sind mehr wert. Das gilt auch für den Preis. Es darf keinen Preiswettbewerb um qualitativ hochwertige Lebensmittel geben. Wir brauchen ein neues Selbstverständnis bei Händlern und Konsumenten. Dabei gilt es, auf regionale Lebensmittel von guter Qualität mit einem angemessenen Preis zu setzen – das ist die beste Unterstützung für die Bauernfamilien.

Bauern erzeugen hochwertige Lebensmittel, zum Beispiel Getreide, Fleisch und Milch, bekommen dafür aber oft schlechte Preise. Den Rahm schöpfen andere ab. Wo krankt das System?

Der Anteil, der vom Preis bei den Landwirten ankommt, ist meist sehr gering. Von einem Kilo Mischbrot kommen beim Landwirt nur 18 Cent an, bei einem halben Liter Bier nur zwei Cent. Das liegt zum einen an der Internationalisierung und der Öffnung der Agrarmärkte, zum anderen am immer wieder aufkommenden Preiskampf der Lebensmittelhändler. Unsere landwirtschaftlichen Betriebe stehen im Wettbewerb mit Regionen, die unter deutlich geringeren Standards kostengünstiger produziert können. Das kann nicht funktionieren.

Als während der Corona-Pandemie der Blick vermehrt in Ställe und Schlachthöfe gerichtet wurde, brachte das für viele das Fass zum Überlaufen. Wer ist verantwortlich: der auf Verdienst ausgerichtete Erzeuger, der jedem Sonderangebot nachjagende Verbraucher oder eine überforderte Landwirtschaftspolitik?

Für die Schweinehaltung gibt es in Deutschland ganz klare Gesetze, diese Vorgaben wurden wissenschaftlich erarbeitet und auf Grundlage dieser haben die Landwirte, unter Begleitung staatlicher Beratung, ihre Ställe gebaut. Die Tierhaltung wird sich aber weiterentwickeln. Eine wichtige Neuerung ist die von den Wirtschaftsbeteiligten ins Leben gerufene und getragene Initiative Tierwohl, die für mehr Tierwohl in der Nutztierhaltung steht. Jedes vierte Mastschwein wird beispielsweise in einem solchen Tierwohlstall gemästet.

Apropos Förderung: Sollte die Art der Schweinehaltung mit Fördergeldern belohnt werden – und nicht die Masse?

Die Schweinehaltung wird nicht über Direktzahlungen gefördert. Weder für Ferkel noch für ausgewachsene Mastschweine gibt es direkte Fördergelder. Wir unterstützen den Vorschlag der sogenannten Borchert-Kommission, der der Bundesregierung vorliegt. Einige Detailfragen müssen hier noch geklärt werden, aber vom Grundsatz her sind wir dabei. Die Politik muss jetzt liefern, unsere Landwirte brauchen Planungssicherheit und die baurechtliche Möglichkeit, ihre Ställe umbauen zu können. Auch sind Investitionshilfen erforderlich.

Hand aufs Herz: Tut es Ihnen nicht weh, wenn Sie sehen, wie mancherorts in Deutschland Schweine gehalten werden?

Ein gesundes Tier ist die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg. Leider gibt es vereinzelt Zustände, die definitiv nicht tragbar sind. Von solchen schwarzen Schafen distanzieren wir uns ganz klar.

Was sagen Sie dazu, dass Landwirtschaft neu und anders gedacht werden muss, etwa mit Blick auf Regionalität, Tierhaltung, Umweltschutz?

Die Landwirtschaft unterliegt einem stetigen Transformationsprozess. Sie wird sich immer weiterentwickeln, nachhaltiger werden und die Umwelt noch besser schützen. Dies geht aber nicht durch weitere Auflagen – das führt nur zu einer Zunahme der Betriebsaufgaben und beschleunigt den Strukturwandel. Wir als Bauernfamilien sind bereit, uns weiterhin an diesem Prozess zu beteiligen, er muss aber auch ganzheitlich geführt werden, bis hin zu den Einkaufskörben der Verbraucher.

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