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Zwei Gesetzentwürfe zur Suizidbeihilfe liegen am heutigen Donnerstag dem Bundestag vor. Kritiker fürchten, eine Regelung führe zur Normalisierung des Suizids. Die Abgeordneten müssen eine Gewissensentscheidung treffen.
Die Selbsttötung war bis vor wenigen Jahren ein Tabu - verboten war sie nie. Je nach Perspektive galt der Suizid als Zurückweisung des Lebens, als Hilfeschrei oder als letzter Ausdruck menschlicher Selbstbestimmung. Am heutigen Donnerstag will der Bundestag erstmals in der Geschichte über eine Regelung der Beihilfe zum Suizid entscheiden. Also darüber, wer unter welchen Voraussetzungen ein tödliches Mittel erhalten darf.
Ein Verbot der geschäftsmäßigen - auf Wiederholung angelegten - Beihilfe, wie sie Sterbehilfevereine anbieten, hatte das Bundesverfassungsgericht 2020 in einem Urteil aufgehoben. Die Richter hatten ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben postuliert - unabhängig von Alter, Krankheit oder individueller Begründung.
Zwei Gesetzentwürfe
Dazu könne der Sterbewillige die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen. Allein entscheidend ist, dass der Entschluss aus freiem Willen und ohne jeden Zwang gefällt wird. Zugleich empfahl das Gericht dem Gesetzgeber, ein Schutzkonzept zu verabschieden, um Missbrauch zu verhindern.
Beide vorliegenden Gesetzentwürfe verstehen sich als Antwort auf das Urteil. Sie werden jeweils von Abgeordneten verschiedener Fraktionen getragen. Wie bei ethisch heiklen Fragen üblich, sollen die Abgeordneten ohne Fraktionszwang, also ganz frei entscheiden.
Der Vorschlag Helling-Plahr / Künast
Das Parlament tut sich offensichtlich schwer. Nach drei Jahren Beratungen und zwei sogenannten Orientierungsdebatten im Bundestag liegen die endgültigen Gesetzentwürfe erst seit kurzem vor. Eine Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) führte zwei getrennte Vorlagen unlängst zusammen. Die Gruppe um Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) feilte bis zuletzt an Details.
Helling-Plahr und Künast geht es vor allem darum, für Volljährige das "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" sicherzustellen. Der Suizidwillige kann nach einer Pflichtberatung zu einem Arzt gehen, um sich das tödliche Mittel verschreiben zu lassen - sofern der Entschluss frei gefällt wurde und von einer "gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit" getragen ist.
Der Schein ist aber nur für einen bestimmten Zeitraum gültig. In Härtefällen wie einer äußerst schweren Krankheit kann ein Arzt das tödliche Mittel ohne Schein verschreiben - falls ein unabhängiger Kollege zur selben Einschätzung kommt. Die Länder sollen ein Beratungsnetz aufbauen.
Der Vorschlag Castellucci / Heveling
Castellucci und Heveling gehen stärker vom Schutzkonzept aus. Ihr Gesetzentwurf sieht ein grundsätzliches und strafbewehrtes Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe im Strafrecht vor.
Es soll Ausnahmen geben, wenn Sterbewillige sich von einem Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie mindestens zweimal im Abstand von drei Monaten untersuchen lassen und mindestens eine weitere Beratung durch einen Arzt oder eine Beratungsstelle bekommen. Nach der letzten Beratung sollen nochmals zwei Wochen bis zur Selbsttötung liegen.
Ausgang offen
Wie die Abstimmung ausgeht, ist offen. Findet keine Vorlage die nötige Mehrheit, bleibt die Suizidbeihilfe ungeregelt - freilich in den Grenzen geltenden Rechts. Nicht wenige Abgeordnete treibt die Sorge um, jede staatliche Regelung könne den Suizid zu einer normalen Art des Sterbens machen - wie in den Niederlanden, wo inzwischen fünf Prozent der Todesfälle Suizide sind.
Bessere Prävention verlangt
Ärzte, Kirchen und viele Interessenverbände dringen vor allem auf eine bessere Prävention - zumal der allergrößte Teil der Suizidwünsche auf Krankheiten wie Depressionen oder seelische Not zurückzuführen sei. Demnach solle die Prävention im Gesetzgebungsverfahren Vorrang haben.
Die katholische Kirche verlangt ferner, dass sie in ihren Einrichtungen keine Beihilfe dulden muss. Gerade schwache und alte Menschen sollten sich durch derartige Angebote nicht bedrängt fühlen, ihr eigenes Weiterleben rechtfertigen zu müssen.
Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe
Menschen mit Suizidgedanken können sich an die Telefonseelsorge wenden. Sie ist unter den Rufnummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 täglich rund um die Uhr erreichbar, berät kostenfrei und anonym. Der Anruf findet sich weder auf der Telefonrechnung noch in der Übersicht der Telefonverbindungen wieder. Es gibt auch eine E-Mail-Beratung. Sie läuft über die Internetseite der Telefonseelsorge und ist daher nicht in Ihren digitalen Postfächern zu finden. Hier geht es zur Telefonseelsorge.