Assistierter Suizid - Interview mit Bonner Medizinethiker und Moraltheologen

Gibt es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, Herr Sautermeister?

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Der Bundestag will in der kommenden Woche ein neues Gesetz beschließen, das assistierten Suizid regeln soll. Was sagt das über unsere Gesellschaft – und was heißt das für kirchliche Einrichtungen? Welche Rolle spielt katholische Moral noch? Antworten vom Bonner Medizinethiker und Moraltheologen Jochen Sautermeister.

Herr Sautermeister, die Mehrheit der Deutschen findet laut Deutschem Ärzteblatt, dass Sterbewilligen beim Sterben geholfen werden soll. Die Politik muss dem laut Bundesverfassungsgericht Rechnung tragen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Dass schwerkranken und sterbenden Menschen mit ohnehin zumeist instabilen Sterbewünschen geholfen werden sollte, steht außer Frage. Zu fragen ist aber, was angemessene Formen der Hilfe sind. Erfahrungen aus Palliative Care und Hospiz zeigen, dass der assistierte Suizid das in den allerwenigsten Fällen ist. Eine adäquate Palliativversorgung kann dabei helfen, dass Menschen in ihrem Sterben so begleitet werden, dass diese nicht (mehr) durch assistierten Suizid vorzeitig sterben möchten. Daher halte ich es für gut, wenn ein Fokus auf Suizidprävention und ein Ausbau von Palliative Care und Hospiz gelegt wird.

Häufig wird mit Blick auf leidvolle Erfahrungen von Schwerkranken gesagt, dass sei doch kein menschenwürdiges Leben mehr. Sinkt gesellschaftlich betrachtet die Schwelle, Leben gerade von Kranken und Schwachen zu schützen?

In unserer Gesellschaft scheint mir die Sensibilität für unterschiedliche Formen schweren Leids und Verletzbarkeiten von Menschen gewachsen zu sein. Auch scheint mir ein grundsätzlicher Konsens zu bestehen, dass niemand gegen seinen Willen getötet werden darf.

Allerdings gibt es verschiedene Einschätzungen, wann Schmerzen, irreversible schwere Krankheit oder bestimmte Lebensbedingungen für unerträglich oder unzumutbar gehalten werden. Ich finde es auffällig, dass mit der Qualifizierung „kein menschenwürdiges Leben“ Gegensätzliches bewertet wird, wenn es um leidvolle Erfahrungen von Schwerkranken geht. Das zeigt sich auch bei der Diskussion um den assistierten Suizid: Die einen sagen, er sei eine angemessene Form, einer menschenunwürdigen Situation ein Ende zu setzen, andere sagen, ein würdiges Sterben sei mit einer Hilfe zum Suizid nicht vereinbar. Offensichtlich gibt es keinen einheitlichen Bewertungsmaßstab (mehr), was für einen Menschen subjektiv erträglich und objektiv zumutbar ist. Menschen können das Leid bei schweren Krankheit sehr verschiedenen beurteilen. Das hängt oft mit den persönlichen Dispositionen, aber auch Kraftquellen und Sinnressourcen zusammen, die für das Aushalten und Gestalten von schweren Krisen und Krankheiten eine zentrale Rolle spielen.

Und was sagen Sie zu dieser Entwicklung?

Leiden, Sterben und Tod aus dem Leben und der gesellschaftlichen Wahrnehmung verdrängen zu wollen, halte ich für problematisch. Es lässt sich nicht leugnen, dass es ein Leistungsparadigma in unserer Gesellschaft gibt, Sorgen vor den Grenzen der Belas­tungsfähigkeit unseres Gesundheits- und Pflegesystems, eine Veränderung in den sozialen und familiären Strukturen, sodass sich hier schon ein sozialer Druck aufbauen könnte, vorzeitig aus dem Leben scheiden zu wollen. Das sollte unbedingt vermieden werden.

Welche Rolle spielt die zurückgehende Relevanz der Kirchen bei ethischen oder gesellschaftlichen Themen in dieser Entwicklung?

Die Kirchen spielen grundsätzlich eine wichtige Rolle bei Fragen ethischer und gesellschaftlicher Orientierung. Allerdings haben unterschiedliche Entwicklungen – weltanschauliche und ethische Pluralisierung, Diskreditierung durch Missbrauchskrise und Ringen um Glaubwürdigkeit, problematisches Verhältnis von Kirche und Moderne, Rückgang an Kirchenbindung und so fort – dazu geführt, dass die Stimmen der Kirche weniger Gehör finden. Das ist sehr bedauerlich, weil die Kirchen wichtige Garanten für das Eintreten von Menschenwürde, insbesondere derer sind, die nicht für sich selbst eintreten können. Sie stehen dafür, dass es kein menschenunwürdiges Leben gibt. Allerdings müssen die Kirchen sich dialogbereit zeigen, dies plausibel begründen können und dabei sich selbst auch als moralisch glaubwürdig erweisen, wenn es um die Anerkennung der Menschenwürde und Menschenrechte geht.

Der liberalere der beiden noch vorliegenden Entwürfe würde einen assistierten Suizid allen Menschen ab 18 Jahren auch ohne jegliche medizinische Notlage ermöglichen, wenn auch mit vorangehender Beratung. Einzige Voraussetzung wäre neben Beratung und Volljährigkeit der Nachweis des autonom gebildeten, freien Willens. Inwiefern droht da der Suizid zur gesellschaftlich akzeptierten Lösung von Lebenskrisen zu werden?

Hier habe ich große Bedenken. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen.

Kann es aus katholischer Perspektive ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben geben?

Aus katholischer Sicht haben Menschen das Recht zu sterben, wenn nur noch medizinische Maßnahmen das Leben verlängern. Zugleich gilt das Leben als so wertvoll, dass es nicht einfach durch Selbsttötung beendet werden sollte. Menschliches Leben ist niemals unwürdig. Sich hier auf ein individualistisches Verständnis von Autonomie zu berufen, greift zu kurz. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Daher hat er in seinen Entscheidungen auch die Auswirkungen seines Handelns auf andere zu berücksichtigen. In religiöser Perspektive spielt für die Bewertung zudem die persönliche Gottesbeziehung eine wichtige Rolle. Gleichwohl kann es tragische Lebenskonstellationen geben, in denen der assistierte Suizid als Gewissensentscheidung eines Menschen zu respektieren ist.

Wenn der assistierte Suizid erlaubt wird – was bedeutet das für kirchliche Einrichtungen? Wäre eine gesetzliche Schutzraumklausel realistisch, die in kirchlichen Häusern eine Ablehnung des assistierten Suizids ermöglicht? Was raten Sie?

Kirchliche Einrichtungen dürfen nicht dazu verpflichtet werden, dass in ihnen assistierter Suizid angeboten wird oder dass ihre Mitarbeiter aktiv daran mitwirken. Das darf aber nicht dazu führen, dass Menschen sich dort gehemmt fühlen, über Sterbewünsche zu sprechen. Eine sensible und achtsame Begleitung und Versorgung ist ganz wichtig, um Menschen in ihrer Not helfen zu können. Sollte sich jemand – und das sind die großen Ausnahmen! – dennoch nach fachärztlicher Betreuung für einen assistierten Suizid entscheiden, wäre es gut, die Einrichtung könnte entscheiden, wie sie damit umgeht. Es sollte auf jeden Fall respektvoll sein.

Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe
Menschen mit Suizidgedanken können sich an die Telefonseelsorge wenden. Sie ist unter den Rufnummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 täglich rund um die Uhr erreichbar, berät kostenfrei und anonym. Der Anruf findet sich weder auf der Telefonrechnung noch in der Übersicht der Telefonverbindungen wieder. Es gibt auch eine E-Mail-Beratung. Sie läuft über die Internetseite der Telefonseelsorge und ist daher nicht in Ihren digitalen Postfächern zu finden. Hier geht es zur Telefonseelsorge.

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