Martin Pohlmann fordert Lohnobergrenzen für Zeitarbeitsfirmen

Caritas-Experte: Leiharbeit in Kliniken verschärft Pflegenotstand

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Mehr Gehalt, Dienstwagen und weitere Privilegien – damit locken Zeitarbeit-Agenturen derzeit gezielt Pflegekräfte. Der Pflegeexperte und stellvertretender Direktor des oldenburgischen Landes-Caritasverbands Martin Pohlmann hält diesen Trend für eine große Gefahr. Er sieht auch den Gesetzgeber gefordert. Möglicherweise, indem er Obergrenzen für die Bezahlung von Leihkräften einführt.

Professor Pohlmann, wie bewerten Sie den wachsenden Anteil von Leiharbeit in Krankenhäusern und Altenheimen?

Derzeit mit großer Sorge. Wir erleben eine bedrohliche Entwicklung: dass eine an sich sinnvolle Möglichkeit immer weiter um sich gegriffen hat und dadurch Einrichtungen in Bedrängnis bringt und dem Klima unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schadet.

Aber eigentlich klingt es doch sinnvoll, dass Einrichtungen in Spitzenzeiten und Notsituationen kurzfristig und befristet Personal bekommen können.

Genau das war ja auch anfangs der Grundgedanke. Wenn aber Zeitarbeitsfirmen – wie es durchaus geschieht – massiv Personal aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen raussaugen und damit gleichzeitig die Probleme in manchen Häusern noch verstärken, wird es schwierig. Besonders, weil sie die Bedingungen diktieren können.

Was hat denn eigentlich dazu geführt, dass den Leiharbeits-Agenturen das heute möglich ist?

Zum einen der Fachkräftemangel in der Pflege. Und dann auch neue gesetzliche Vorgaben: etwa die Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen beim Personal, die ja grundsätzlich gut sind. Diese Untergrenzen waren mit ein Auslöser. Wenn Häuser diese Vorgaben nicht erfüllen, bekommen sie Probleme.

Und in diese Lücke sind die Zeitarbeitsfirmen gestoßen?

Ja, sie haben das scheinbar als lukrative Möglichkeit entdeckt und werben zum Teil auch aggressiv feste Fachkräfte ab, um sie dann wieder für das Zweieinhalbfache der Kosten für festangestellte Kräfte – oder auch mehr – zu verleihen.

Warum machen die Einrichtungen das denn überhaupt mit?

Martin Pohlmann ist stellvertretender Direktor des Landes-Caritasverbands Vechta und Honorar-Professor für Pflegewissenschaft an der Hochschule Osnabrück. | Foto: LCV Vechta
Martin Pohlmann ist stellvertretender Direktor des Landes-Caritasverbands Vechta und Honorar-Professor für Pflegewissenschaft an der Hochschule Osnabrück. | Foto: LCV Vechta

Weil ihnen manchmal keine Wahl bleibt. Spätestens seit der Einführung von Fachkraftquoten ist die Anzahl der Pflegekräfte eine entscheidende Größe für den Umsatz geworden. Das bedeutet: Wenn ich die Mitarbeiter nicht mehr habe, um eine bestimmte Anzahl an Betten betreiben zu dürfen, habe ich ein Erlösproblem. Ein Bett, das ich nicht betreibe, bringt keine Einnahmen. Als Geschäftsführer stehe ich dann vor der Wahl: Entweder baue ich die Betten vorübergehend ab und verzichte auf die Erlöse, obwohl die Patienten bei mir vor der Tür stehen. Oder ich schaue, wie ich irgendwie an Mitarbeiter komme.

Und dann kommen die Zeitarbeitsfirmen ins Spiel?

Ja, weil sie dann eine Lösung für mein Problem anbieten, die aber viel Geld kostet. Und dann bleibt dem Krankenhaus oft keine Wahl, als das anzunehmen, auch wenn es teuer ist und sich finanziell eigentlich nicht rechnet. Weil aber sonst vielleicht die Gefahr besteht, dass eine vorübergehende Schließung von Betten zu einer Diskussion über Bettenabbau führt.

Haben Sie denn Verständnis für Fachkräfte, die zu einer Leihagentur wechseln?

Natürlich kann ich sie verstehen. Wenn ihnen gesagt wird: Ihr arbeitet nur dann, wenn ihr wollt, bekommt teilweise einen Dienstwagen und deutlich mehr Geld.

Aber führt es nicht zu einem schlechten Betriebsklima auf einer Station, wenn die unterschiedlichen Mitarbeiter zusammenarbeiten sollen?

Für das Klima unter den Bestandsmitarbeitern ist das natürlich unbefriedigend. Wenn sich die einen die Rosinen rauspicken: also zum Beispiel keine eher unbeliebten Dienste übernehmen und das Stammpersonal dann noch mehr dieser Dienste übernehmen muss. Das gibt es in Krankenhäusern ebenso wie in manchen Altenheimen. Gleichzeitig wissen sie ja, dass die Leihkräfte deutlich mehr verdienen. Und das, obwohl sie sich vielleicht summa summarum weniger arbeiten, weil sie sich gar nicht so gut in den Abläufen etwa einer Intensivstation auskennen.

Ist da nicht für manchen die Verlockung groß, selbst zu einer Agentur zu wechseln?

Das passiert durchaus. Und manchmal werden sie auch direkt abgeworben von den eingesetzten Leihkräften. Ich habe das selbst so erlebt. Da hat ein Zeitarbeiter, der im OP tätig war, einen Kollegen von dort abgeworben. Nach dem Motto: „Ich verstehe gar nicht, warum Du so doof bist und hier weiterarbeitest?“

Haben Krankenhäuser denn da überhaupt eine Chance, dagegenzuhalten?

Die tun schon heute etwas. Zum Beispiel, indem sie mit verlässlichen Personalpools arbeiten. Wo ein Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen verlässlichen Dienstplan hat, aber nicht unbedingt eine verlässliche Station. Mit einer Mischung aus ihnen und festen Stationsmitarbeitern kann man viel möglich machen. Oder, dass man verstärkt auf ausländische Mitarbeiter zugreift. Auch wenn das – etwa was die Sprache angeht – auch Geld kostet.

Sehen Sie auch den Gesetzgeber gefordert?

Im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sind Lohnuntergrenzen festgesetzt, damit keine Ausbeutung von Menschen stattfindet. Möglicherweise wäre es sinnvoll, auch Obergrenzen festzusetzen. Will sagen, dass man nicht nach oben unbegrenzt an der Schraube drehen darf. Etwas muss auf jeden Fall getan werden!

Zur Person: Martin Pohlmann
Martin Pohlmann ist stellvertretender Direktor des oldenburgischen Landes-Caritasverbands sowie Honorar-Professor für Pflegewissenschaft an der Hochschule Osnabrück. Er gehört außerdem zum Beirat der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG), zum Fachausschuss der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und ist Mitglied im Vorstand des Katholischen Krankenhausverbands Deutschland (KKVD).

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