Für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Wertschätzung

Demo, Hupen, Autokorso: 500 Pflegekräfte aus Münster fordern Reformen

  • Endlich Konsequenzen aus der Notlage der Pflege zu ziehen, das haben rund 500 Pflegekräfte bei einer Kundgebung in Münster gefordert.
  • Sie brachten Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen, mehr Wertschätzung, einer umfassenden Pflegereform und einer Entbürokratisierung der Pflege zu Gehör.
  • Höhepunkt der Aktion war ein Autokorso mit mehr als 100 Fahrzeugen verschiedener Pflegeeinrichtungen, die minutenlang hupend über den Prinzipalmarkt fuhren.

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Endlich Konsequenzen aus der Notlage der Pflege zu ziehen, das haben rund 500 Pflegekräfte bei einer Kundgebung in Münster gefordert. Unter dem Motto „Wir könn(t)en Pflege“ brachten sie vor der Lambertikirche in der Innenstadt Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen, mehr Wertschätzung, einer umfassenden Pflegereform und einer Entbürokratisierung der Pflege zu Gehör.

Höhepunkt der Aktion war ein Autokorso mit mehr als 100 Fahrzeugen verschiedener Pflegeeinrichtungen, die minutenlang hupend über den Prinzipalmarkt fuhren. Hinter der Aktion steht das Bündnis „Starke Pflege in Münster“. In ihm haben sich 15 Unternehmen der Langzeitpflege und fünf Bildungsträger zusammengeschlossen. Unterstützt wird das Netzwerk von der Stadt Münster.

„Jeden kann es treffen, auf Pflege angewiesen zu sein“

Klatschen auf Balkonen und Dankbarkeit für den Einsatz der Pflegerinnen und Pfleger wie zu Beginn der Corona-Pandemie – das reiche nicht aus, sagte Bürgermeisterin Maria Winkel (SPD), die Grüße von Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) überbrachte. „Solange wir oder unsere Angehörigen gesund sind, machen wir uns vielleicht keine Sorgen um das Pflegeangebot in der Stadt“, mahnte sie. Das könne sich durch Krankheit oder Unfall für jeden von einer auf die andere Sekunde ändern.

Realität sei dann häufig, für unbestimmte Zeit auf eine Warteliste für die Hilfe geschoben zu werden. Pflege gehe jeden an. „Das System Pflege, so wie es jetzt ist, funktioniert nicht mehr“, so Winkel. Für Münster müsse ein adäquates Angebot aufgebaut werden.

Misstrauen und Kontrolle

Noch deutlicher wurde Ulrich Watermeyer. „Wir haben während der Corona-Krise unter erschwerten Bedingungen gearbeitet und keine Ressourcen mehr“, sagte der Geschäftsführer des evangelischen Diakonischen Werks.

Jahrelang habe die Politik „eine grundlegende Reform des Pflegeversicherungsgesetzes versprochen und immer wieder sind wir vertröstet worden“. Was bisher passiert ist, sei bestenfalls ein „Reförmchen“.  Hunderttausende Kolleginnen und Kollegen fehlten in Deutschland. Das habe nicht zuletzt Ursachen in der überbordenden Bürokratisierung, sagte Watermeyer.

So würden Pflegeeinrichtungen von zehn unterschiedlichen Prüfungsinstanzen überwacht, die vom Medizinischen Dienst über den Arbeitsschutz bis zur Lebensmittelkontrolle reichten. „Das ist Misstrauen, was uns und unserer Arbeit entgegengebracht wird.“ Zudem würden Vorbereitung, Begleitung und Dokumentation der einzelnen Kontrollen viel Zeit und Personal binden, die ansonsten in die Betreuung der Menschen fließen könne. 

„Arroganz ist unbegreiflich“

Als weiteres Beispiel nannte der Diakonie-Chef den Versuch, ausländisches Pflegepersonal einzustellen. „Wir arbeiten mit zahlreichen Nationen gut zusammen, aber es kann ein Jahr dauern, bis ein neuer Kollege oder eine neue Kollegin zu uns kommen kann. Diese Arroganz gegenüber den ausländischen Pflegekräfte ist unbegreiflich.“

Auf der Bühne vor der Lambertikirche las Autor Norbert Nientiedt aus seinem neuen Buch  „Menschen pflegen, das ist meins“. Darin hat der münstersche Autor Erfahrungen und Geschichten zahlreicher Pflegekräfte aufgeschrieben.

„Es droht eine Unterversorgung“

Einer von ihnen ist Mustafa Othman. Der junge Mann floh vor dem Krieg in Syrien und musste ein halbes Jahr unter Brücken schlafen. Jetzt macht er in der Psychiatrie im Alexianer-Campus eine Ausbildung zur Pflegefachkraft.

„Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern sind die Probleme überhaupt nicht im Bewusstsein“, sagte Bernhard Sandbothe am Rand der Demonstration. Der Heimleiter des Achatius-Hauses in Münster-Wolbeck, das die Alexianer betreiben, betont, schon heute könnten zahlreiche Pflegeplätze aus Personalmangel nicht mehr vergeben werden. Zudem komme es bei den Ambulanten Diensten inzwischen zu viele Absagen auf Pflegeanfragen.

Bei der Pflege drohe eine Unterversorgung der Bevölkerung. Für sein Haus habe er noch Glück, aber ob es dabei bleibt, kann Sandbothe nicht prognostizieren.

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