Themenwoche „Dauerbrenner im Ehrenamt“ (1) - Bernhard Serwuschok, Vechta

Der bescheidene Rekordhalter: Mehr als 660.000 Kilometer für Schlesien

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Bernhard Serwuschok aus Vechta kennt keinen Urlaub. Als er noch kein Rentner war, hat er seine Freizeit meist auf Autobahnen und Landstraßen verbracht, um Hilfsgüter Richtung Polen zu bringen. Noch immer sammelt der Malteser Hilfsgüter und bringt sie in Richtung Osten. Für ihn ist es eine Art Berufung.

Mitten im Gespräch klingelt es. „Ja?“, meldet sich Bernhard Serwuschok. Mit dem Telefon in der Hand sitzt er am Küchentisch seiner Etagenwohnung in Vechta. Diesmal hat eine Frau angefragt. Ihr Mann sei jetzt im Hospiz und brauche seinen Rollator nicht mehr. Ob das was für die Hilfstransporte nach Schlesien sei? „Hole ich ab“, sagt der 67-Jährige und schreibt sich die Adresse auf.

Für den ehrenamtlichen Malteser ist das Alltag. „Jeden Tag kommen mehrere solcher Anrufe.“ Gleich muss er noch nach Bremen, wegen zwei gebrauchter Rollstühle. „Ich weiß ja, wie viele davon jetzt in der Ukraine benötigt werden.“ Zunächst kommen sie in eine Lagerhalle. Von dort transportieren die Malteser aus Köln sie weiter.

Oderflut 1997 gab den Anstoß

So war das immer: Wenn er sah, wo Hilfe gebraucht wird, hat Bernhard Serwuschok die Ärmel aufgekrempelt. Nicht erst, aber besonders seit der Oderflut 1997. Damals war er gerade zu Besuch in Schlesien, bei einer Hochzeit. Erst ein paar Jahre zuvor war die Familie von dort in den Westen übergesiedelt und in Vechta gelandet. Als er die Bilder von Schlamm und Zerstörung im Fernsehen sah, machte sich der damals 42-Jährige kurzerhand auf den Weg in sein altes Dorf Klosterbrück (polnisch: Czarnowasy) in der Nähe von Oppeln.

Früher war er dort Feuerwehrmann. „Ich wollte den Jungs in meinem Heimatdorf helfen.“ Brücken waren weggerissen, viele Versorgungsleitungen gekappt, die Not groß. Sodass er mit seiner Frau und den Kindern auf der Rückfahrt aus Polen im Auto beschloss: „Dieses Jahr wird Weihnachten anders, mit weniger Geschenken. Wir müssen was für die Leute tun.“

Mehr als 300 Fahrten nach Schlesien

Bernhard Serwuschok
Bernhard Serwuschock, 67, hat vor 25 Jahren die Schlesienhilfe der oldenburgischen Malteser gegründet und leitet sie bis heute ehrenamtlich. Er war bereits mehr als 300 Mal mit Hilfstransporten dorthin unterwegs. | Foto: Michael Rottmann

Zu Hause in Vechta wandte er sich mit einem Aufruf an die Tageszeitung. Darin bat er um Sachspenden für Flutopfer, Waschmaschinen und Möbel zum Beispiel. Schon bald stand sein Telefon nicht mehr still. Schnell war genug für den ersten Transport zusammen. Die Caritas – damals vor allen Dingen in der Litauen- und Weißrussland-Hilfe aktiv – stellte einen Lastwagen für die Tour. Eine katholische Frauengemeinschaft spendete 1000 Mark für Diesel.

So konnte Serwuschok seinen ersten Transport auf den Weg bringen. Das meiste ging an die Caritas in Oppeln, der Rest in sein Heimatdorf. Weil am Ende Geld übrig war und immer noch weitere Spenden zusammenkamen, folgten noch zwei weitere Touren – erst einmal. Und dann – jetzt unter dem Dach der Malteser – Hilfstransport auf Hilfstransport, mittlerweile seit 25 Jahren. Bis Ende des vergangenen Jahres kam Bernhard Serwuschok auf mehr als 300 Fahrten, allein nach Schlesien. Daneben saß er auch für andere Hilfsaktionen hinterm Lenkrad, 14 Mal war für die Caritas nach Weißrussland und viermal nach Litauen unterwegs. Weil er in der Schule Russisch gelernt hat, ist er dabei eine große Hilfe.

660.000 Kilometer – allein für die Schlesienhilfe

Weiß er, wie viele Kilometer im Führerhaus dabei insgesamt zusammengekommen sind? Bernhard Serwuschok lächelt. „Allein nach Schlesien 660.000.“ Serwuschok hat über alles genau Buch geführt. Die Transportkosten lagen bei 160.000 Euro. Auch das Geld dafür kam von Spendern und Sponsoren. 

„Früher habe ich gesucht und gefragt, ob ich Sachen bekommen kann“, sagt er. „Mittlerweile rufen die Menschen von sich aus bei mir an, weil sie Geld spenden oder Hilfsgüter abgeben wollen.“ Privatleute ebenso wie Unternehmen. Er kümmert sich um alles Weitere.

Urlaub der Schlesienhilfe geopfert

Bernhard Serwuschok
Bernhard Serwuschok. | Foto: Michael Rottmann

Heute als Rentner hat er die Zeit dazu. In den Jahren davor lief alles nach Feierabend, neben seiner Arbeit als Monteur. Der gelernte Dachdecker hat europaweit Hühnerställe aufgebaut. „Mein Jahresurlaub war immer bestimmt für die Hilfstransporte.“ Für Frau und die vier Kinder sei das in Ordnung gewesen. Sie hatten die Lage in Polen schließlich noch vor Augen.

Auch ihm selbst wurde bei den Transporten immer wieder bewusst, was die Hilfe für manche Menschen in dem Land bedeutet, bis heute. Der Leiter eines Heims für Männer mit geistiger Behinderung hat ihm berichtet, wie viel er vom Staat bekommt. „Pro Bewohner zehn bis zwölf Euro am Tag, für Kleidung, Heizung und Essen.“ Auch deshalb sammelt Bernhard Serwuschok immer weiter.

Ehrung als „Mann des Vierteljahrhunderts“

Im vergangenen Oktober konnte er in Schlesien das 25-jährige Jubiläum seines Projekts feiern, nach seinem 300. Transport. Wieder hatte er dabei Spenden für Kinderheime, Altenheime oder Krankenhäuser ins Land gebracht, zum Beispiel ein Ultraschallgerät, das in Deutschland ausgemustert wurde, aber noch einwandfrei funktioniert. Und zu seiner Freude sah er, dass die elektrischen Pflegebetten, die er bei einem der ersten Transporte an Bord hatte, auch nach 25 Jahren noch gute Dienste leisten.

Natürlich freut sich der Gründer des Projekts Malteser-Schlesienhilfe über die zahlreichen Ehrungen, die er schon bekommen hat. 2014 zum Beispiel haben ihn die Leser einer Regionalzeitung in Oppeln zum „Mann des Vierteljahrhunderts“ gewählt. Er zuckt mit den Schultern. „Aber viel wichtiger sind mir Spenden. Ich brauche Kohle, um weiter fahren zu können.“

Bernhard Serwuschok weiß selbst, was Armut ist

Zuletzt war Serwuschok in der zweiten Dezemberwoche in seinem Heimatdorf, zur traditionellen Weihnachtsfeier, die er dort für Menschen ab 70 Jahren ausrichtet. Es war bereits sein 301. Schlesientransport. Nach der Feier bekommen alle Teilnehmer jedes Mal eine kiloschwere Tüte mit Lebensmitteln und Süßigkeiten. Ihre dankbaren Gesichter haben ihn wieder einmal daran erinnert, dass der Wohlstand in seiner alten Heimat längst nicht bei allen angekommen ist.

Bernhard Serwuschok senkt die Stimme. „Ich habe ja selbst auch erlebt, was Armut ist“, sagt er. „Wir waren zu Hause sieben Geschwister. Und sonntags nach der Messe liefen alle schnell nach Hause. Weil es dort mittags oft nur heiße Bockwurst gab und jeder die größte haben wollte. Und das auch nur sonntags. An normalen Wochentagen musste oft nur eine Schnitte Brot mit Zucker drauf ausreichen.“

Heute gehe es ihm gut. „Und das möchte ich teilen mit anderen, solange mir der liebe Gott noch die Kraft dazu gibt.“ Die beiden Herzinfarkte, die er hinter sich hat, haben ihn bisher jedenfalls nicht bremsen können. Der Mann mit dem dichten grauen Bart lächelt. „Petrus denkt wohl: Du hast auf der Erde noch viel Arbeit. Wir lassen Dich noch da.“

Kontakt zur Malteser-Schlesienhilfe
Wer die Schlesienhilfe der oldenburgischen Malteser unterstützen will, erhält weitere Informationen bei Bernhard Serwuschok unter 0176/38168985.

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