Chefredakteur Markus Nolte über den Umgang mit der Coronakrise

Die verdrängte Pandemie: Warum helfen die Kirchen nicht mit ihrem Schatz?

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Während ein dubioses Dokument nach politisch Verantwortlichen für die Bewältigung der Coronakrise sucht, bleibt etwas viel Wichtigeres auf der Strecke, meint Chefredakteur Markus Nolte. Offensichtlich ein Symptom. Und das ist nicht gut.

20 Millionen Tote. Das ist die nüchternste Bilanz vier Jahre nach Ausbruch von Corona. 20 Millionen Menschen starben weltweit an diesem überraschend neuen Virus – Megacitys wie Mexiko-Stadt wären menschenleer. Mehr als 180.000 starben in Deutschland, so viele leben in Hamm oder Oldenburg.

Die Corona-Krise gilt als die bislang verheerendste Pandemie des 21. Jahrhunderts. Und auch wenn die Einstufung als „internationale Gesundheitsnotlage“ seit einem knappen Jahr aufgehoben ist, nicht nur offiziell ist die Pandemie keineswegs vorbei.

Masken entsorgt - und die Ängste auch

Dass wir dennoch längst einen Haken dran gemacht haben, ist so verständlich wie symptomatisch. Millionen Masken werden nach Ablauf der Mindesthaltbarkeit verbrannt und im Privaten die letzten entsorgt, die zerknittert in diversen Schubladen lagerten – und mit ihnen vermeintlich alle Ängste, alle Trauer, alle Schmerzen. Dabei steckt uns all das natürlich noch mächtig in den Knochen: Wir sind übermüdete, überforderte, labile Menschen geworden – ganz abgesehen davon, dass wohl jeder jemanden kennt, der nicht mehr da ist seitdem. So viel Leere!

Doch statt mühsam mit diesen tiefen Wunden umzugehen, um überhaupt eine Chance auf Heilung zu haben, umgehen wir sie in gekonnter Banalität – und wissen doch, wie heillos das ist. Diskussionen entbrennen über Fehler und Zuständigkeiten, entfacht durch gezielt veröffentlichte Dokumente, geleakt von wem und zu welchem Zweck auch immer. 

Macht der Verdrängung

Die Aufarbeitung allein auf das politische und medizinische Management zu beschränken, könnte – so wichtig sie ist – kein größerer Beweis für die Macht der Verdrängung sein. Doch es bräuchte mehr: ein Gedenken allemal, möglichst am selben Tag weltweit, das der Zerbrechlichkeit von Gesundheit, Sicherheit, Leben gewidmet ist, den Toten, der Trauer und der Angst, dem Wert von Freiheit, Gemeinschaft und Zusammenhalt.

So wie am Mahnmal für die Anschläge vom 11. September, die jeder und jedem eingebrannt sind. Oder wie die Große Prozession, die jährlich an die Pest im Münster des 14. Jahrhunderts erinnert.

Der Schatz der Kirchen

Die Kirchen könnten aus ihrem großen Schatz aus Gedenken, Riten und Seelenkenntnis schöpfen und helfen, diese weltweite Dunkelheit nicht zu vergessen, sondern als Lebenserfahrung einzuschreiben. 

Wie der Sonntag nach Ostern „Barmherzigkeitssonntag“ werden konnte, böte sich der Passionssonntag  vor Palmsonntag dafür an. Die Kirchen könnten vorangehen. Warum tun sie es nicht?

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