Caritas und „Forum gegen Armut“: Mittelfristig helfen nur Neubauten

Die Wohnungsnot verschärft sich – das Beispiel Ahlen

  • Der Caritasverband in Ahlen und das „Forum gegen Armut“ schlagen Alarm.
  • Die Zahl der Wohnungsnotfälle hat in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen.
  • Ohnehin hat nach Beobachtung der Experten das Problem Wohnungsnot die Mittelschicht erreicht.

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Der Caritasverband in Ahlen und das „Forum gegen Armut“ schlagen Alarm: Die Zahl der Wohnungsnotfälle hat in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen. Vor Journalisten appellierten die beiden Kooperationspartner deshalb dringend an die Politik, sich des Problems anzunehmen.

Besonders für Menschen mit geringem Einkommen, Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund und Familien mit mehr als drei Kindern sei es schwierig, eine bezahlbare Wohnung zu finden, berichtete Hermann Wetterkamp, Fachdienstleister Existenzsichernde Hilfen. Aus diesem Grund hat der Caritasverband bereits 2019 und 2020 zu einem „Runden Tisch Wohnungsnot“ eingeladen, an dem auch Lokalpolitiker teilnahmen.

Kaum noch Sozialwohnungen

Bei den Treffen hätten alle Beteiligte die ihrer Ansicht nach verfehlte Wohnungsbaupolitik des Bundes kritisiert. „Es gibt kaum noch Investoren für den Bau von Sozialwohnungen“, stellte Wetterkamp fest. Immer mehr Wohnungsbaugesellschaften ohne lokalen Bezug verfolgten nur noch gewinnorientierte Ziele. Der Bestand an Sozialwohnungen in Ahlen nehme seit Jahren kontinuierlich ab.

Der Caritasverband berichtet zudem, im Bereich der Wohnungsnotfallhilfen stiegen die Fallzahlen seit Jahren – 2017 um 16 Prozent, 2018 um 39 Prozent und 2019 um 20 Prozent. Nach einem coronabedingten Rückgang 2020 seien die Zahlen im vergangenen Jahr wieder auf das Niveau von 2019 gestiegen. 2020 waren Zwangsräumungen vorübergehend ausgesetzt.

Auch Zwei- und Drei-Personen-Haushalte betroffen

Für das laufende Jahr zeichne sich ein ähnlicher Trend ab. Mittlerweile beschränke sich Wohnungsnot nicht mehr hauptsächlich auf einkommensschwache Haushalte, Einzelpersonen und große Familien: Auch für Zwei- und Drei-Personen-Haushalte gebe es kaum noch günstigen Wohnraum.

„Das Thema Wohnungsnot hat damit mittlerweile die Mittelschicht erreicht und wird für immer mehr Menschen zu einem großen Problem“, berichtete Diplom-Sozialarbeiter Christian Raulf. Immer mehr Menschen machten die Erfahrung, dass die Suche nach einem bezahlbaren Dach über dem Kopf aussichtslos sei.

Inflation und Energiekosten


Appellieren an die Politik (von links): Christian Raulf, Hermann Wetterkamp und Sebastian Richter.

„Wir begreifen uns als Feuerwehr“, schilderte Raulf die Arbeit mit den Nöten der Ratsuchenden. Die steigende Inflation und erhebliche Energiekosten führten dazu, dass das Geld nicht mehr reiche. Es bestehe ein großes Armutsrisiko – nicht nur für gefährdete Gruppen.

Mehr als 50 Fälle hat die Caritas in Ahlen allein in diesem Jahr in eine Liste von Wohnungssuchenden aufgenommen, betroffen seien mehr als 100 Menschen. Allein 38 Fälle von Räumungen wegen Mietrückständen hat der Wohlfahrtsverband verzeichnet.

Droht Obdachlosigkeit?

Im schlimmsten Fall drohe Obdachlosigkeit. Viele junge Männer mit psychischen Problemen suchten nach ihrer Entlassung aus dem Telgter St.-Rochus-Hospital Übernachtungsmöglichkeiten in einer städtischen Unterkunft in einem Raum mit Etagenbetten, den sie tagsüber verlassen müssten.

„Die Lage implodiert“, warnte auch Sebastian Richter, Vorsitzender des „Forums gegen Armut“. Der Bau von Sozialwohnungen sei für Investoren finanziell nicht attraktiv. „Der Markt regelt es nicht“, so Richter.  Hinzu kämen Flüchtlinge aus der Ukraine, für die Stadt Wohnraum bereithalten müsse.

Steuerung des Wohnungsbaus gefordert

Die Lösung der Wohnungsprobleme sei kurzfristig leider nicht möglich. Mittelfristig könne dies nur durch den Bau neuer Wohnungen oder eine gezielte Steuerung des Wohnungsbaus erreicht werden. Die Caritas schlägt die Schaffung einer kommunalen Fachstelle vor, um Kompetenzen zu bündeln und ein kommunales Konzept gegen Wohnungsnot zu entwickeln.

In den politischen Gremien der Stadt Ahlen wird außerdem zurzeit die Schaffung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft beraten. In eine solche Gesellschaft könne sich die Stadt beispielsweise mit Grundstücken für den Bau von bezahlbaren Wohnungen einbringen, schlägt Richter vor.

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