Kurt Uellendahl engagiert sich für Menschen am Rand der Gesellschaft

Mit Meisner angelegt, im Knast gewesen, nun ist er für Flüchtlinge da

Anzeige

Er legte sich mit dem Kölner Kardinal Meisner an, wollte nie zu den Klerikern gehören und hatte im Gefängnis eine erfüllte Zeit. Jetzt setzt sich Ruheständler Kurt Uellendahl in Ahlen erneut für Menschen am Rande der Gesellschaft ein.

Ein Bild mit zwei Welten, in der Mitte getrennt durch einen Reißverschluss: Links eine Gefängniszelle mit einem dunklen Gitterfenster, in das kein Tageslicht eindringt, ein Tisch mit einem kleinen Radio, Zigaretten, einem Brief und ein paar anderen Utensilien.

Rechts ein Zimmer mit einem geöffneten Fenster, mit Ausblick auf eine Blumenwiese, einem blauen Himmel, einem Tisch mit einer Blumenvase. Im Arbeitszimmer von Kurt Uellendahl (69) erinnern dieses Bild und andere Dinge an seine 20-jährige Tätigkeit als katholischer Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt in Wuppertal-Vohwinkel. Eine für ihn prägende und erfüllte Zeit, die für ihn Silvester 2019 endete. Doch die Seelsorge für Menschen am Rande der Gesellschaft lässt den Ruheständler auch nach seinem Umzug 2021 nach Ahlen nicht los.

Uellendahl wollte nicht zu Klerikern gehören

Aufgewachsen in einem katholischen Elternhaus in Leverkusen, der Vater leitete eine katholische Schule, die Mutter war Krankenschwester, beide aktiv in der Gemeindearbeit, engagierte sich Uellendahl schon als Jugendlicher bei den Pfadfindern und als Messdiener. Sein Berufswunsch: Es sollte etwas Soziales sein. Der Beruf des Priesters sei nie eine Option gewesen, sagt Uellendahl. „Ich wollte nicht zu den Klerikern gehören“, betont er. Kirche komme oft bei Randgruppen nicht vor, obwohl sie doch gerade dort gefragt sei und dadurch auch glaubwürdiger werde.

Mitte der 1970er Jahre wurde in Paderborn ein neuer Studiengang angeboten: ein Studium der Religionspädagogik und Pastoraltheologie mit dem Abschluss als Diplom-Religionspädagoge. 200 Bewerber kamen damals auf 50 Plätze. Kurt Uellendahl bekam einen von ihnen. Sein Anerkennungsjahr absolvierte er 1979 in Köln-Vingst, einem sozialen Brennpunkt.

Zoff mit Kardinal Meisner ging er nicht aus dem Weg

Es folgten Tätigkeiten als Gemeindereferent im Erzbistum Köln an unterschiedlichen Orten. Schwerpunkte waren in dieser Zeit die Flüchtlings- und Friedensarbeit, der interreligiöse Dialog und die Betreuung von Arbeitslosen. Aber auch berufspolitisch engagierte sich Uellendahl mit der Gründung eines Berufsverbandes der Gemeindereferenten.

Kirchenpolitisch sprach sich in diesen Jahren der Name des Seelsorgers bis zum damaligen Kölner Kardinal Joachim Meisner herum. „Ich habe kritisch zur Leitung des Erzbistums gestanden“, sagt Uellendahl. Zoff sei er nicht aus dem Weg gegangen. Zum Beispiel als bei der Einführung eines neues Dechanten alle pastoralen Dienste gemeinsam in die Kirche einziehen wollten, dies aber von Meisner untersagt wurde. Begründung: Laien seien im Chorraum nicht vorgesehen. Am Ende hätten nur der alte und neue Dechant mit dem Kardinal am Altar gestanden. Danach wurde Uellendahl zum Krisengespräch ins Generalvikariat in Köln einbestellt, um ihm klarzumachen, dass Priester eine besondere Stellung hätten.

Praktikum im Gefängnis bringt Klarheit

Ein anderer „Kriegsschauplatz“ sei das Verbot von Laien-Predigten gewesen. Dass im Bistum Münster vieles anders und besser laufe, darüber ist der Ahlener Neubürger sehr erfreut.

20 Jahre in vier Gemeinden mit ähnlichen Strukturen: Zur Jahrtausendwende fasste Uellendahl den Entschluss, sich beruflich zu verändern. „Die Gefängnisseelsorge hatte ich nicht auf dem Schirm“, erinnert er sich. Im Rahmen einer Supervision lud ein Gefängnisseelsorger ihn zu einem zweiwöchigen Praktikum ein. „Danach war klar: Das ist es.“ Im Jahr 2000 nahm Uellendahl seine Tätigkeit in der JVA Wuppertal-Vohwinkel auf, mit zeitweise 550 Inhaftierten.

Einfach zuhören – ob bei Mördern oder Drogendealern

Was wollten die Gefangenen wohl mit einem Mann von der Kirche? Ein Päckchen Zigaretten, einen Fernseher oder ein Radio? Naturalien wurden nicht bedient. „Die Gefangenen haben schnell gemerkt, dass sie viel mit uns anfangen können“, schildert der Seelsorger. Denn anders als andere hatte er eine Schweigepflicht.

Über ein Kontaktformular konnten die Inhaftierten mit ihm einen Gesprächstermin vereinbaren. „Bei diesen Gesprächen ging es ans Eingemachte, um existenzielle Fragen, um Menschen in einer Lebenskrise, abgeschnitten von sämtlichen sozialen Kontakten“, berichtet der Seelsorger. Seine Aufgabe sei es gewesen, Brücken zu Verwandten und Anwälten zu bauen. Und: einfach zuzuhören, egal ob einem Mörder oder einem Drogendealer.

Noch immer hält er Kontakt zu Inhaftierten

In diesen Jahren wuchs bei Kurt Uellendahl die Kritik am Vollzug. „Inhaftierung bedeutet hauptsächlich wegschließen auf acht Quadratmetern.“ Die Menschen brauchten stattdessen therapeutische Hilfe und Wegbegleiter. „Ohne Sozialkontakte fallen sie in ein Loch.“ In den 20 Jahren im Knast machte Uellendahl viel Öffentlichkeitsarbeit, um zu vermitteln, „was Knast bedeutet“.

Es gab Kunstausstellungen, Basare, Theaterprojekte und selbstverständlich Gottesdienste in der Gefängnis-Kapelle mit bis zu 100 Besuchern. „Als Christen haben wir die Aufgabe, uns um solche Menschen zu kümmern“, betont er. „Ich bin den Straftätern vorbehaltlos begegnet. Wer bist du? Was brauchst du? Was kann ich dir geben.“ Noch heute hält er regelmäßig per Telefon oder Internet Kontakt mit einem seit 30 Jahren im Hochsicherheitstrakt einsitzenden Mann. Ein ehemaliger Gefangener habe ihm gesagt: „Für Sie fahre ich bis ans Ende der Welt.“

In Ahlen engagiert er sich für Flüchtlinge

In dieser Zeit entstand in der Holzwerkstatt des Gefängnisses auch ein Kreuz. Kurt Uellendahl trägt es immer, wenn er in Ahlen seelsorgerisch aktiv ist. Nach seinem Umzug mit Ehefrau nach Ahlen, weil beide Töchter in der Nähe leben, hat Kurt Uellendahl schnell Kontakt zur Pfarrgemeinde St. Bartholomäus gefunden. Er betreut das Willkommenscafé für ukrainische Flüchtlinge, engagiert sich in der City-Kirche und im Ahlener Friedensbündnis und setzt sich für die Schaffung eines zentralen Trauerortes für die auf der Flucht oder in ihrer Heimat verstorbenen Angehörigen von Flüchtlingen ein.

Einige der vielen von Inhaftierten angefertigten Bilder, die in seinem Gefängnis-Büro hingen, hat Kurt Uellendahl mit nach Ahlen genommen. „Es war eine erfüllte Zeit“, stellt er fest. Aber das Gefängnis noch mal besuchen? „Das würde mich stark belasten.“ Zu seinem Abschied sagte Peter S., einer der Inhaftierten: „Ich verneige mich vor Ihrem Lebenswerk, für all das, was Sie hier mit uns und für uns in zwei Jahrzehnten geleistet haben. Sie sind Vorbild, indem Sie folgende Worte des Hebräer-Briefes ins Hier und Jetzt setzen: ‚Denkt an die Gefangenen, als wäret Ihr mitgefangen.‘ Möge Ihr Wort weiter die Menschen berühren.“

Anzeige