Fünf Jahre nach "Wir schaffen das": Helmut Flötotto, Flüchtlingsbeauftragter des Bistums Münster

„Ehrenamtliche im Bistum haben die Flüchtlingssituation gemeistert“

Anzeige

2015 - das war das Jahr, in dem auf einmal viele Flüchtlinge aus ihrer Heimat nach Deutschland kamen. Eine große Herausforderung für alle. Kanzlerin Angela Merkel ermutigte: „Wir schaffen das!“ Welches Resümee zieht Helmut Flötotto, der Flüchtingsbeauftragte des Bistums Münster?

Vor fünf Jahren hieß es: „Wir schaffen das!“ Haben wir das geschafft?

Es wurde ganz viel geschafft, mit allen Beteiligten – mit Staat, Kommunen, Wohlfahrtspflege, Caritas, Kirchengemeinden und vor allem mit vielen ehrenamtlich Engagierten. Es war wirklich erfreulich, wieviel geleistet wurde. Integration ist an vielen Stellen gelungen. Zwei Drittel der Geflüchteten haben zum Beispiel Arbeit gefunden. Das sind Entwicklungen, auf die man stolz sein kann.

Was waren die größten Herausforderungen für Kirche und Caritas?

Es ging erst einmal um Unterkünfte. Da haben die Kirchengemeinden vor Ort intensiv mitgeholfen, etwa in Schulen, Pfarrheimen, Pfarrhäusern oder anderen kirchlichen Einrichtungen Räume zur Verfügung zu stellen. Das Bistum hat sich dann sehr schnell entschlossen, das ehrenamtliche Engagement mit Bistumsmitteln zu fördern. Dazu sind in allen Dekanaten Stellen zur Koordination geschaffen worden. Denn es war urplötzlich ein großes bürgerschaftliches Engagement da. Viele Menschen sahen sich in der Verantwortung und wollten tatkräftig mit anpacken.

Gibt es eine Zahl dazu?

Im NRW-Teil des Bistums waren zeitweise über 7000 Ehrenamtliche in Kirchengemeinden und caritativen Einrichtungen im Einsatz. Dieses Engagement zu begleiten und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, war Ziel und hat gut geklappt. Die, die sich ehrenamtlich einbringen wollten, mussten kein Geld mitbringen, um diese Aufgabe angehen zu können. Zudem wurde in den caritativen Verbänden die personelle Struktur massiv ausgebaut.

Lief das alles wirklich so glatt?

Wir haben immer positiv nach vorn geschaut und gesagt: Wir wuppen das! Aus meiner Sicht ist das so auch eingetreten. Es ist eine Erfolgsgeschichte geworden, weil hier im Bistum ganz viele Flüchtlinge beheimatet und integriert worden sind. Sie fühlen sich bis heute angenommen. Aber auch, weil viele Pfarrgemeinden und kirchliche Einrichtungen ihren Einsatz als Bereicherung erlebt haben.

Wären heute noch einmal so viele ehrenamtliche Kräfte bereit zu helfen?

Ich habe keine Müdigkeit feststellen können. Im Gegenteil, viele haben sich auch von Anfeindungen vor Ort bis heute nicht davon abhalten lassen, sich für die Flüchtlinge einzusetzen. Etwa 2.000 Helfer sind derzeit noch im Bistum im Einsatz.

Was ist derzeit ihre Aufgabe?

Sprachkurse, schulische Unterstützung, Integration in den Arbeitsmarkt – Pate sein, damit Menschen hier gut ankommen können und ihr Start in ein selbstbestimmtes Leben gelingt. Gerade da können Ehrenamtliche einen wichtigen Beitrag leisten.

Wie hat die Corona-Pandemie diesen Einsatz erschwert?

Massive Auswirkungen gab es natürlich durch die Kontaktbeschränkungen, sei es in den Beratungsstellen oder beim Einsatz in den Flüchtlingseinrichtungen und –familien. Gerade die Arbeit der Ehrenamtlichen mit den Geflüchteten vor Ort wurde dadurch vielerorts auf Null runtergefahren. Das Problem, dass die Menschen ohnehin viel zu lange in den zentralen Unterbringungseinrichtungen verweilen, wurde damit verstärkt. Es gibt dort keinen Anspruch auf Deutsch-Kurse oder die Möglichkeit, Richtung Arbeitsmarkt aktiv zu werden, und die Kinder gehen nicht zur Schule. Integration ist in dieser Zeit nicht möglich und diese vertane Zeit ist für viele Flüchtlinge verlängert worden.

Ist die Flüchtlingszuwanderung denn jetzt endlich „gewuppt“?

Nein, das ist überhaupt noch nicht durch. Wir haben viele Asylbewerber in Deutschland, die noch nicht integriert sind. Das liegt auch an einer Rahmengesetzgebung, die mittlerweile mehr eine „Hau ab!“- Kultur als eine Willkommenskultur geworden ist. Politisch hat sich da einiges gedreht, auch weil man auf bestimmte Widerstände in der Gesellschaft reagieren wollte. Wir setzen zunehmend wieder auf geschlossene Grenzen. Durch verschiedene Abkommen mit anderen Staaten halten Deutschland und die Europäische Union die Flüchtlingsfrage von sich fern.

Was muss sich ändern?

Mir wäre es wichtig, die Aufnahme von Flüchtlingen, insbesondere aus den großen Lagern im Mittelmeerraum, voranzutreiben. Wir müssen weiterhin noch deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen. Zudem muss auch die Seenotrettung wieder verbessert werden. Wenn staatlicherseits so gut wie keine Seenotrettung mehr stattfindet, dann dürfen nicht auch noch die privaten Initiativen behindert werden. Das geht überhaupt nicht. Da muss Europa als Friedensnobelpreisträger ein viel humanitäreres Gesicht zeigen. Die Bevölkerung, auch im Bistum Münster, würde das mit großen Engagement weiter mittragen.

Anzeige