Zentrale Ereignisse und der Verlauf der Debatte – auch im Bistum Münster

„Wir schaffen das“ – Chronik zur Flüchtlingsdiskussion

Vor fünf Jahren erreichte der Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland einen Höhepunkt. Ein Rückblick auf zentrale Ereignisse und den Verlauf der Debatte.

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Vor fünf Jahren erreichte der Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland einen Höhepunkt. Ein Rückblick auf zentrale Ereignisse und den Verlauf der Debatte.

Sommer 2015: Zehntausende Flüchtlinge, ein großer Teil aus dem Bürgerkriegsland Syrien und aus Afrika, machen sich über das Mittelmeer und den Balkan auf den Weg nach Europa. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt mit Blick auf Aufnahme und Integration der Geflüchteten den berühmt gewordenen, aber umstrittenen Satz „Wir schaffen das“.

September 2015: Deutschland und Österreich entscheiden, tausende Flüchtlinge aufzunehmen, die in Ungarn gestrandet sind. Als die Menschen in Deutschland eintreffen, werden sie von vielen Menschen begrüßt. Auch der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Bischof Heinrich Bedford-Strohm, kommen zum Münchner Hauptbahnhof. Papst Franziskus fordert: „Jede Pfarrei, jede Gemeinschaft, jedes Kloster und jeder Wallfahrtsort möge eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen.“ Bundesweit beginnen abertausende Freiwillige, ankommenden Flüchtlingen zu helfen – unterstützt von Hauptamtlichen aus Kirche und Caritas.

7. September 2015: Weihbischof Dieter Geerlings aus Münster, damals stellvertretender Vorsitzender der Migrationskommission der Bischofskonferenz, beschreibt im „Kirche+Leben“-Interview, wie Flüchtlinge Deutschland verändern werden.

Herbst 2015: Die Zahl ankommender Flüchtlinge bleibt hoch. Trotz diverser EU-Beschlüsse und Asylrechtsverschärfungen kommt es zu keiner substanziellen Entlastung für Deutschland oder einer proportionalen Verteilung von Geflüchteten auf die EU-Staaten.

31. Dezember 2015: In der Silvesternacht verüben Migranten in Köln in der Nähe von Dom und Hauptbahnhof sexuelle Übergriffe auf feiernde Frauen. Die öffentliche Stimmung beginnt, flüchtlingskritischer zu werden, die rechtspopulistische AfD erzielt ab 2016 bei Wahlen hohe Stimmenanteile. Neben Integrationsprojekte treten auf politischer Ebene defensive Gesetze, etwa zur Einschränkung des Familiennachzugs von Flüchtlingen.

Januar 2016: Beim „Dialogpreis für gute Taten“ im Bistum Münster, einer Initiative der Redaktion von „Kirche+Leben“, geht ein Sonderpreis an die Flüchtlingshelfer. Da nicht alle Geehrten Urkunden erhalten können, werden tausende Aufkleber gedruckt und verteilt.

März 2016: Nach Slowenien, Kroatien und Serbien schließt auch Nordmazedonien seine Grenze für Flüchtlinge. Damit ist die Balkan-Fluchtroute faktisch dicht. Zugleich kommt es zum EU-Türkei-Abkommen. Beide Seiten einigen sich darauf, Migranten, die illegal Griechenland erreichen, in die Türkei zurückzuschicken. Im Gegenzug soll für jeden zurückgenommenen Syrer ein anderer Syrer legal von der Türkei aus in die EU kommen.

26. Mai 2016: Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki nutzt im Gottesdienst zu Fronleichnam ein vor Malta von Sicherheitsbehörden beschlagnahmtes Flüchtlingsboot als Altar.

September 2016: Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gibt endgültige Zahlen bekannt: Rund 890.000 Flüchtlinge haben 2015 Asyl in Deutschland gesucht.

10. November 2016: In vielen kirchlichen Häusern und von der Caritas betriebenen Einrichtungen sind im Lauf des Jahres Migranten untergekommen. Auch im ehemaligen Institut für Diakonat und pastorale Dienste des Bistums Münster ziehen Flüchtlinge ein.

31. Dezember 2016: Münsters Bischof Felix Genn sagt in einer Predigt, Deutschland müsse keine Islamisierung fürchten, auch nicht durch Flüchtlinge. Diese Ansicht löst wüste Beschimpfungen vor allem im Internet aus.

13. April 2017: Das Bistum Münster unterstützt die private Seenotrettung von Flüchtlingen finanziell.

6. September 2017: Als „unchristlich und menschenverachtend“ geißelt Weihbischof Stefan Zekorn, Weltkirche-Beauftragter im Bistum Münster, die Abschottung Europas im Mittelmeer.

Mai 2018: Die Integration von Flüchtlingen ist ein zentrales Thema der Podiumsdiskussionen beim 101. Deutschen Katholikentag in Münster.

1. Juli 2018: In einer Predigt in Münster bezeichnet Bischof Genn die Seenotrettung von Flüchtlingen als eine rechtliche Pflicht.

7. September 2018: Papst Franziskus hatte sich von Anfang an immer wieder in die Flüchtlingsdiskussion eingeschaltet. Bereits 2013 hatte er auf der italienischen Insel Lampedusa die dort gestrandeten Flüchtlinge besucht und für die im Mittelmeer Ertrunkenen gebetet. Nun sagt er erneut, Europa könne mehr für die Aufnahme geflüchteter Menschen tun.

29. März 2019: Weihbischof Zekorn nennt das Ende der EU-Mittelmeer-Mission zur Seenotrettung von Flüchtlingen einen „Verrat am Menschsein“.

7. Juli 2019: Bischof Genn ergreift in einer Predigt erneut Partei für die Seenotretter.

25. Mai 2020: Die Corona-Pandemie verschärft auch die Lage in Flüchtlingsunterkünften. Dort lassen sich Abstände vielfach nicht einhalten, sodass die Infektionsgefahr hoch ist. Darauf weist die Caritas im Bistum Münster hin.

August 2020: Das Schiff „Sea Watch 4“ beginnt Rettungsmissionen im Mittelmeer. Es wird vom Bündnis „United 4 Rescue“ – übersetzt „Vereint für die Rettung“ – finanziert. Teil des Bündnisses sind mehrere kirchliche Organisationen, darunter die Evangelische Kirche in Deutschland.

9. September 2020: Brände verwüsten das überfüllte Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Die Flüchtenden müssen zunächst auf der Straße und in umliegenden Wäldern hausen, eine Aufteilung auf EU-Staaten kommt nur sehr zögernd voran. Kirchenvertreter werfen der EU politisches Versagen vor.

20. September 2020: Die „Sea Watch 4“ wird im Hafen von Palermo festgesetzt. Besatzung und „Ärzte ohne Grenzen“ sehen darin eine „willkürliche Blockade“. Die Behörden argumentieren, Rettungsaktionen entsprächen nicht der Registrierung des Schiffs.

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