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Die Geburt eines Kindes kann für Familien die unterschiedlichsten Herausforderungen bereithalten – Alltagsfragen, soziale Probleme, psychische Überforderung. Im Clemenshospital in Münster kommen dann die Babylotsinnen.
Es ist das absolute Hochgefühl: Wenn ein Kind zur Welt kommt, kann das Glück kaum größer sein. Dieses Gefühl kann jeder nachvollziehen. Dass ein solcher Augenblick auch mit vielen Sorgen, Überforderungen und Ängsten verbunden sein kann, steht in der Regel nicht im Fokus. Bei den Babylotsen im Clemenshospital in Münster ist das anders. Der genaue Blick auf die Situation der Kinder und ihrer Familien ist ihre Aufgabe.
Dabei geht es bei weitem nicht nur um existenzielle Fragen, wenn etwa Krankheit und Tod die Ereignisse überschatten, sagt Elke Alaze. „Die Bandbreite an Sorgen ist groß – sie reicht von kleinen Fragen an die neue Situation der Eltern bis zur Bewältigung einer Totgeburt.“ Die Sozialarbeiterin und Fachkrankenschwester ist eine von zwei Babylotsinnen, die seit etwa zwei Jahren in dem Krankenhaus der Alexianer diese Aufgabe übernommen haben.
Von großen und kleinen Herausforderungen
Dass der Bedarf vorhanden ist, kann sie mit Zahlen belegen. Alle etwa 1.800 Frauen, die jährlich im Clemenshospital entbinden, füllen vor der Geburt einen Fragebogen aus. Dort geht es auch um die Gesundheit und das Wohlbefinden der werdenden Mütter. „Wir bekommen jedes Formular auf unsere Schreibtische“, sagt Alaze. „In etwa einem Viertel der Fälle werden wir aktiv.“
Aktiv werden heißt ansprechen. Nicht weil sie hinter den Antworten immer große soziale oder psychische Probleme vermuten. Auch weil sie wissen, wie das Neuland einer Geburtssituation für alle Beteiligten kleine Fragen zur Herausforderung werden lassen kann. „Manchmal sind es Dinge, die wir in wenigen Minuten organisieren können“, sagt Gesundheits- und Kinderkrankenschwester Nicole Heidwinkel, die zweite Babylotsin vor Ort. „Manchmal aber braucht es auch Begleitung über mehrere Tage und Wochen.“
Babylotsinnen vielseitig und intensiv gefordert
Der Frau, die sich vor der Geburt ihres Kindes meldet, weil sie noch keine Hebamme hat, kann mit einem Telefonat geholfen werden. Ein anderes Beispiel zeigt, wie vielseitig und intensiv die Lotsinnen gebraucht werden, wenn die Not viel größer ist. Alaze erinnert sich dabei an die Flüchtlingsfamilie aus Afghanistan, deren Kind im Mutterleib starb und tot auf die Welt gebracht werden musste. Für alle Beteiligten im Krankenhaus – Pflegende, Ärzte und Seelsorger – war das eine absolute Ausnahmesituation. Die Babylostinnen nahmen dabei eine wichtige vernetzende Rolle ein.
„Es mussten viele Dinge geregelt werden, für die andere in ihren Arbeitsplatzprofilen keine Möglichkeiten haben“, sagt Alaze. „Wir können dann koordinieren, entlasten und Unterstützungen auch außerhalb des Krankenhauses finden.“ In diesem Fall war es neben der emotionalen Hilfe in dieser „Schocksituation“ auch die Bürokratie, die die Eltern ohne deutsche Sprachkenntnisse in einem solchen Ausnahmezustand absolut überfordert hätte. „Wir regelten unter anderem die Meldung des Kindes beim Standesamt und die Beerdigung durch das Sozialamt.“ Für die Finanzierung des Blumenschmucks auf dem Grab konnten sie einen Pfarrer gewinnen, der Spenden sammelte.
Lockeres Gespräch hilft vielen Müttern
Ihre Kontakte für diese Hilfen sind vielfältig. Seitdem sie nach theoretischen und praktischen Fortbildungen eine Rundreise durch Behörden, Hilfs- und Beratungsangebote in Münster hinter sich haben, kennen sie Ansprechpartner für alle möglichen Herausforderungen. Auch dass sie selbst als sowohl in der Pflege als auch in der sozialen Arbeit Ausgebildete immer mit einer doppelten Profession auf die Familien zugehen können, hilft. „Das können wir oft nicht trennen“, sagt Alaze. „Denn keine gesundheitliche Einschränkung ist wie die andere – das soziale Umfeld spielt immer mit hinein und umgekehrt.“
Die Babylotsinnen erleben das jeden Tag. „Sorgen entwickeln sich unabhängig von Status, Beruf, Kultur oder familiären Hintergrund“, sagt Heidwinkel. Dabei stehen die Probleme längst nicht immer auf dem vorab ausgefüllten Fragebogen. „Vieles ergibt sich auch im lockeren Gespräch, oft wollen die Frauen sich einfach mal etwas von der Seele reden.“ Die Frau, die sich Gedanken über das Zusammenleben mit der Schwiegermutter machte, gehört dazu. Die Frau, die fragte, ob es in Ordnung sei, ihre Zwillinge im Wärmebett für ein paar Stunden allein zu lassen, um daheim nach ihrem anderen Kind zu schauen, auch. „Es geht dann manchmal auch einfach nur um Verständnis und Tipps von Mutter zu Mutter.“
Unsichere Finanzierungen der Babylotsinnen
Dass ihr Angebot unverzichtbar ist, haben die Lotsinnen schon oft erlebt. Sie erleben aber auch, wie schwierig es ist, dies flächendeckend zu installieren. Bundesweit gibt es derzeit lediglich in etwa 100 Krankenhäusern und Arztpraxen Babylotsinnen. In Münster sind es gerade einmal sechs Frauen, die engagiert sind – Alaze und Heidwinkel jeweils nur mit 16 Stunden in der Woche.
Das liegt auch an der Finanzierung. Weil ihre Aufgabe wie in einem Niemandsland zwischen Sozial- und Pflegearbeit existiert, bleibt es schwer, zwischen den Zuständigkeiten von Sozialbehörden und Krankenkassen eine langfristig tragende Lösung zu finden. Ihre Stellen im Clemenshospital werden derzeit über das Projekt „kinderstark – NRW schafft Chancen“ beantragt und unterstützt durch die Stadt Münster, sowie von den Alexianern und von einem Spender finanziert.