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Die erste bundesweite Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche zeigt möglicherweise nicht annähernd das ganze Ausmaß des Missbrauchs. Das legen Medienberichte nahe. Die Forscher konnten offenbar vielfach nicht auf Personalakten zurückgreifen. Die Studie wird am Donnerstag vorgestellt.
Nach Recherchen des WDR-Magazins Monitor zeigt eine neue bundesweite Studie zu Missbrauchsfällen in der evangelischen Kirche nur die Spitze eines Eisbergs. Die Studie soll am Donnerstag vorgestellt werden.
Laut Monitor haben beteiligte Forscher bereits intern beklagt, dass sie für die Erhebung der Gesamtzahlen auf Daten aus Personalakten verzichten mussten. Auch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) liegen entsprechende Informationen vor. Demnach konnte in fast allen Landeskirchen nur auf die Disziplinarakten zurückgegriffen werden, aber nicht auf die umfassenderen Personalakten.
Die erste bundesweite Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und in der Diakonie wird am Donnerstag von einem unabhängigen Forscherteam in Hannover vorgestellt. Die kommissarische Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, hatte mehrfach betont, sie gehe von weit mehr Fällen als von den 900 bisher bekannten Missbrauchsopfern aus. Auch andere Beobachter gehen davon aus.
Geringere Stichprobe als bei der MHG-Studie
Wie aus Beobachterkreisen zu erfahren war, stand den Autoren der EKD-Studie eine geringere Stichprobe zur Verfügung als den Wissenschaftlern, die vor gut fünf Jahren die MHG-Studie der katholischen Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht hatten. Damals konnten die Forscher Daten aus 40.000 Personalakten berücksichtigen.
Die EKD hatte die Studie vor gut drei Jahren für rund 3,6 Millionen Euro in Auftrag gegeben. Die Forscher sollten alle Landeskirchen sowie die Diakonie mit einbeziehen. Die Studie enthält sechs Teilstudien, in denen Ursachen und Besonderheiten von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche untersucht werden. Auch Betroffene waren beteiligt. Ziel ist eine Gesamtanalyse evangelischer Strukturen und systemischer Bedingungen, die sexualisierte Gewalt begünstigen und ihre Aufarbeitung erschweren.
Studie zur katholischen Kirche schon 2018
Für die katholische Kirche in Deutschland war 2018 eine Studie über Missbrauchsfälle in den Jahren 1946 bis 2014 veröffentlicht worden. Sie fand Hinweise auf bundesweit 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe und auf rund 1.670 beschuldigte Priester, Diakone und Ordensleute. Die Studie war ein Auslöser des katholischen Reformdialogs Synodaler Weg.