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Erschüttert über das Verhalten Benedikts XVI. zum Münchner Missbrauchsgutachten hat sich der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer am Freitagmorgen im WDR-Hörfunk geäußert: "Mir stockte der Atem darüber, wie sich Verantwortungsträger der damaligen Zeit heute immer noch nicht der Verantwortung stellen, sondern signalisieren: Ich war nicht dabei, ich wusste es nicht. Das war ein jämmerliches Bild und ist für den ehemaligen Papst Benedikt furchtbar."
Aus dem Bistum Essen stammt der Priester Peter H.. Dort war er in der Amtszeit von Kardinal Franz Hengsbach (1958-1991) zum Missbrauchstäter geworden. Dann wurde H. in der Amtszeit des Münchner Erzbischofs Ratzinger (1977-1982) in die Erzdiözese München versetzt, wo er erneut Kinder missbrauchte. Benedikt XVI. gibt im Münchner Missbrauchsgutachten zwar an, bei der entscheidenden Sitzung zur Aufnahme von H. in München nicht anwesend gewesen zu sein; ein Sitzungsprotokoll legt aber das Gegenteil nahe. Die Gutachter halten dies für "überwiegend wahrscheinlich".
Pfeffer: Talfahrt der Kirche geht weiter
Pfeffer betonte, es gehe überhaupt nicht darum, Benedikt XVI. die Schuld zuzuschieben. "Die Verantwortung liegt ganz eindeutig zuerst beim Bistum Essen, bei den Verantwortlichen der damaligen Zeit hier." H. hätte sofort aus dem Dienst entfernt werden und angezeigt werden müssen - "und das hat man alles nicht getan". Stattdessen hätten die Verantwortlichen "ausnahmslos den Schutz der Kirche und vor allem eines völlig überzogenen Priesteramtes im Blick gehabt".
Es erschüttere ihn sehr, dass die "Talfahrt der Kirche" weitergehe und auf dem Rücken derer ausgetragen werde, die in den Gemeinden und Einrichtungen "eine unglaublich gute Arbeit machen". Zugleich stärke ihn das in seinem Einsatz dafür, "alles zu tun, dass sich diese Kirche radikal verändert", sagte Pfeffer. "Wenn alle aussteigen und wir das Feld denen überlassen, die immer noch nicht wahrhaben wollen, in welcher Situation die Kirche eigentlich ist und was es zu tun gibt - das wäre Flucht vor der Verantwortung."
Overbeck: Verantwortung ist immer personal
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck forderte den emeritierten Papst Benedikt XVI. auf, sich zu den Ergebnissen des Münchner Missbrauchsgutachtens „zu verhalten“. Es müsse Verantwortung übernommen werden, und „die ist immer personal“, sagte Overbeck im ZDF. Auch das Erzbistum München und Freising und die Verantwortlichen müssten Konsequenzen ziehen.
Overbeck wurde von Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., 1989 in Rom zum Priester geweiht. Das Münchner Gutachten bescheinigt Ratzinger in vier Fällen Führungsversagen im Umgang mit Missbrauchstätern sowie fehlende Sorge für die Geschädigten in seiner Zeit als Münchner Erzbischof.
Das Bistum Essen kündigt unterdessen für den Herbst die Präsentation einer weiteren Studie an. Das Münchner Institut für Praxisforschung und Projektberatung sei beauftragt, die Missbrauchsfälle im Ruhrbistum mit einem sozialwissenschaftlichen Fokus aufzuarbeiten.
Es gehe besonders um die Frage, welche Strukturen, Verhaltensmuster und Fehler von Verantwortlichen sexualisierte Gewalt in der Diözese begünstigt hätten. Das Institut habe seit März 2020 Zugang zu allen Akten und führe auf Basis der Aktenauswertung Interviews mit Verantwortlichen, Betroffenen und weiteren Zeitzeugen.
Eine juristische Untersuchung aller Personalakten zu Vorwürfen oder Verdachtsfällen sexuellen Missbrauchs hatte das Ruhrbistum bereits 2012 beauftragt und die Ergebnisse 2017 vorgestellt. | epd
Update 17.45 Uhr: Studie in Essen (Kasten)