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Im Vatikan hat der Prozess um einen Finanzskandal begonnen, in dem erstmals ein Kardinal angeklagt ist. Dieser sieht sich als Opfer einer Verschwörung. Der Prozess wurde nach dem ersten Tag auf den 5. Oktober vertagt.
Nach zweijährigen Ermittlungen hat am Dienstag im Vatikan der Prozess um einen Finanzskandal begonnen, in dem erstmals ein Kardinal angeklagt ist. Am ersten Verhandlungstag ging es nach Berichten des italienischen Rundfunks um Verfahrensfragen. Das vatikanische Staatssekretariat und die Vatikanbank (IOR) wollten als Nebenkläger in dem Verfahren auftreten.
Die Anklage wirft dem ehemaligen Substituten des Staatssekretariats, Kardinal Angelo Becciu, im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Luxusimmobilie in London Amtsmissbrauch, Veruntreuung und Anstiftung zur Falschaussage vor. Gemeinsam mit dem 73-Jährigen stehen neun weitere Personen wegen Veruntreuung, Geldwäsche und Betrug vor Gericht, darunter der ehemalige Präsident der vatikanischen Finanzaufsicht (AIF), René Brülhart.
Vatikanbank IOR erstattet Anzeige
Die Vatikanjustiz hatte auf eine Anzeige der Vatikanbank (IOR) hin 2019 wegen des Verdachts auf Unregelmäßigkeiten beim Erwerb einer Immobilie in der Sloane Avenue in London Ermittlungen eingeleitet. Im vergangenen Jahr wurden fünf Mitarbeiter des Staatssekretariats und der Finanzaufsicht suspendiert. Hintergrund sind Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe in das verlustreiche Geschäft mit der Londoner Immobilie, die in Luxus-Wohnungen umgewandelt werden sollte.
Im vergangenen Jahr erkannte Papst Franziskus seinem ehemaligen engen Mitarbeiter Becciu die mit der Kardinalswürde verbundenen Rechte ab. Die Ermittler hatten zuvor ein Netzwerk von Personen aufgedeckt, die "den Vatikanfinanzen spürbare Verluste zugefügt" hätten. Im Rahmen der Finanztransaktionen seien auch "Ressourcen, die für die karitative Arbeit des Heiligen Vaters bestimmt sind, angegriffen" worden. Dabei handelt es sich um Einnahmen aus dem Peterspfennig, eine weltweite Kollekte, die für wohltätige Zwecke dem Papst zur Verfügung steht.
Becciu sieht sich als Opfer einer Verschwörung
Becciu weist sämtliche Vorwürfe zurück. Er sieht sich als Opfer einer Verschwörung, deren Ziel es sein soll, seine Chancen beim nächsten Konklave zur Wahl des Nachfolgers von Papst Franziskus zu zerstören. Der langjährige Vatikandiplomat war 2011 von Papst Benedikt XVI. zum Substituten im vatikanischen Staatssekretariat mit weitreichenden Kompetenzen in der Finanzverwaltung ernannt worden.
UPDATE: Prozess geht im Oktober weiter
Der Prozess zum vatikanischen Finanzskandal rund um Kardinal Becciu ist nach dem ersten Verhandlungstag auf den 5. Oktober vertagt worden. Der Vorsitzende Richter Giuseppe Pignatone ordnete an, dass allen zehn Angeklagten weitere Beweismittel, unter anderem Videoaufnahmen, zur Verfügung gestellt werden müssen.
Mehrere Anwälte hatten zum Prozessauftakt aufgrund formaler Fehler, fehlender Beweismaterialien und mangelnder Vorbereitungszeit eine Verschiebung des Prozesses gefordert. Auch die strafrechtliche Kompetenz des Vatikan und sein Recht, italienische Staatsbürger anzuklagen und auf italienischem Boden zu befragen, wurden infrage gestellt.
Becciu und sein ehemaliger Sekretär Mauro Carlino waren beim ersten Prozesstag anwesend. Die weiteren Angeklagten ließen sich durch ihre Anwälte vertreten. | KNA