Künstler Lukas Sünder fordert Betrachter zur Auseinandersetzung heraus

Galgenstricke in Heilig Kreuz Münster: Kunstprojekt ersetzt Hungertuch

  • Ein buntes Kunstwerk aus Stoff mit dem Titel „Head high“ ersetzt in diesem Jahr das Hungertuch in Heilig Kreuz Münster, das sonst in der Fasten- und Karzeit das Kreuz verhüllt.
  • Zu sehen sind 53 Galgenstricke – jeder symbolisiert ein Land, in dem im vergangenen Jahr Todesurteile vollstreckt wurden.
  • Künstler Lukas Sünder will mit dem Kunstwerk zum Nachdenken auffordern, ohne dem Betrachter Vorwürfe zu machen.

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Das ist eigentlich ein wenig zu bunt für die kommenden Tage auf Ostern zu: Anstelle des traditionellen Hungertuchs ist das Kreuz über dem Altar der Heilig-Kreuz-Kirche in Münster derzeit hinter einem Gewirr aus farbenfrohen Seilen verschwunden. Zwar finden sich liturgische Farben in den aus Stoff genähten Strängen wieder. Das Lila der Fastenzeit ist aber nur ein kleiner Teil davon. Und: So ganz verhüllt ist das Kreuz auch nicht. Durch die Lücken zwischen den Bändern ist es immer noch zu sehen.

„Das ist meine Position, mein Blick auf den Hintergrund“, sagt Lukas Sünder, der seinem Projekt den Namen „Head high“ gegeben hat. „Ich habe die Distanz, ich bin selbst nicht Teil der Brutalität, auf die ich hinweise.“ Wer genau hinschaut, sieht, was der Künstler meint. Die Seile sind wie Galgenstricke geknotet. Die Schlingen aber hängen nicht herab, sondern streben nach oben. „Das nimmt ihnen ihre grausame Funktion, sie können nicht mehr töten.“

Zum Himmel empor

53 Galgenstricke sind es. Jeder steht für ein Land, welches im vergangenen Jahr Todesurteile vollstreckt hat. „Damit wird die Not dieser Menschen zum Himmel empor gehalten“, sagt Sünder. Viele Wochen hat er dafür in seinem heimischen Wohnzimmer bei Frankfurt genäht. 240 Meter Fließ mit 240 Meter Stoff verbunden und dafür acht Kilometer Garn verarbeitet.

„Ich brauche mit meinem Werk niemanden überzeugen, dass die Todesstrafe schlecht ist“, sagt der 32-Jährige. „Es ist also keine Anklage der Menschen, die es sehen.“ Er will erinnern, ohne Vorwürfe zu machen. Dies in einer Kirche vor dem Hintergrund der liturgischen Tradition zu tun, reizt ihn besonders. „Ich nehme ein religiöses Kunstwerk mit seiner spirituellen Bedeutung und verhülle es mit meinem Kunstwerk und meiner Sicht.“

Verhüllt ist verhüllt

Aber so farbenfroh und lebendig? Pfarrer Siegfried Kleymann sieht darin keinen Tabu-Bruch in der Fasten- und Karzeit. „Verhüllt ist verhüllt – egal wie.“  Es geht für ihn darum, das Kreuz für eine Zeit anders zu sehen. „Es kommt etwas Besonderes zum Vorschein, weil es verhangen ist.“ Der Betrachter kann sich bewusst werden, was das Kreuz für ihn bedeutet, sagt er. „Hier kann er einen Blick auf den Gekreuzigten bekommen, wenn er seinen Standpunkt ändert.“

Die Auseinandersetzung hat sich für den Pfarrer von Heilig Kreuz durch die aktuellen Ereignisse geweitet. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bringt eine weitere Dimension des Schreckens in die Betrachtung. Die fast poppige Ausstrahlung des Kunstwerks kann für ihn auch ein Hinweis auf die Zeit nach Ostern sein. „Für uns erscheint das Kreuz nach der Auferstehung Jesu ja auch ganz anders – überwunden, strahlend, hoffnungsfroh.“

Neues Raumangebot

Bei der Eröffnung des Projekts zeigte sich der Prorektor der Kunstakademie Münster Stefan Hölscher beeindruckt vom Zusammenspiel des sakralen Raums mit dem Kunstwerk. „Der Künstler hat den Raum, den ihm die Gemeinde gegeben hat, mit einem neuen Raumangebot beantwortet“, sagte er in seiner Einführung. „Es ist ein Raum des Nachsinnens, des Gebets und wenn es gelingt, sogar ein Raum der Veränderung.“

Hölscher gab zu, dass auch ihn die Installation zunächst verstört habe: „Die Weichheit der Stoffe vor der Härte des Hintergrunds.“ Die Frage, die sich ihm dabei stelle, sei die nach einer möglichen Normalität des Grauens einer Hinrichtung. „Nehmen wir diesen Tod noch ernst?“, gab er die Frage weiter an die Zuhörer. Vor dem Kreuz als Hinrichtungsstätte Jesu sei sie eine besonders große Herausforderung.

Umfangreiches Begleitprogramm
Die Installation ist noch bis Karfreitag täglich von 9 bis 18 Uhr in der Heilig-Kreuz-Kirche in Münster zu sehen. Sie wird von einem vielseitigen Rahmenprogramm begleitet. Unter anderem kommt am 1. April um 17 Uhr die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Svenja Schulze in die Kreuzkirche, um über das Thema Menschenrechte zu diskutieren. Am 3. April wird ab 14 Uhr der Film „Die Ballade von der weißen Kuh“ im Schlosstheater in Münster gezeigt. Weitere Konzert-, Gottesdienst- und Lesungstermine finden Sie auf www.heilig-kreuz-muenster.de.

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