28-Jährige will eine Brücke zwischen Islam und Christentum bauen

Gülsüm Dal-Izgi - eine Muslima mit katholischem Theologiestudium

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Schon als Kind hat sie mit ihren Fragen über Religion und Glaube alle genervt. Dann studierte Gülsüm Dal-Izgi in Münster Islamische Theologie. Dass sie sich auch für katholische Theologie einschrieb, hat einen ganz einfachen Grund.

Dass es zwischen Christen und Muslimen hohen Gesprächsbedarf gibt und überall Menschen gesucht werden, die zuhören können, ist eine Binsenweisheit. Gülsüm Dal-Izgi ist eine Brückenbauerin par excellence im interreligiösen Dialog: Die türkischstämmige Studentin hat an der Universität Münster Islamische Theologie und Katholische Religionslehre studiert - als eine von zwei Studenten an der Hochschule mit insgesamt 44.000 Studierenden und eine der ganz wenigen in Deutschland.

Auf einem schwierigen, teilweise verminten Feld bemüht sie sich um größtmögliche Differenzierung. Sie will auf jeden Fall vermeiden, falsch verstanden oder vorschnell in eine Schublade gesteckt zu werden. „Ich will nicht die große Klischee-Aufbrecherin sein“, stellt die eher zurückhaltende junge Frau klar. „Das entspricht überhaupt nicht dem Bild von mir selbst.“

Westliche Denkweisen und türkische Kultur

Dall-Izgi, 1992 in Dortmund geboren, wurde muslimisch erzogen und besuchte von 2003 bis 2012 das Helmholtz-Gymnasium in ihrer Heimatstadt. Als Kind schätzte sie besonders das Gemeinschaftsgefühl beim abendlichen Fastenbrechen im Ramadan. „Das war etwas ganz Großes, auf das man sich freuen durfte.“ Sie wehrt sich aber gegen jede Einordnung, ob ihre Familie eher religiös oder säkular geprägt ist, weil diese westlichen Denkweisen auf die Kultur und Lebensweise türkischer Familien schwer anzuwenden seien.

„Eine solche Begrifflichkeit ist von außen aufgedrängt“, protestiert sie. Ihr eigenes Bild vom Islam sei dynamisch geprägt. Jeder Mensch und jeder Muslim müsse die Chance haben, seine Identität zu entwickeln, wie er wolle. Er solle nach seiner Façon selig werden können, hebt die junge Frau hervor.

Komische Fragen an Eltern und Lehrer

Bereits als Kind stellte Dal-Izgi bohrende, kritische und „komische“ Fragen an Eltern und Lehrer. Als sie in der elften Klasse zwischen Philosophie und Religion wählen musste - „Zwischen diesen beiden Fächern gibt es für mich keinen Gegensatz“ -, entschied sie sich als einzige Muslima für den evangelischen Religionsunterricht.

„Das war beim Thema Weltreligionen sehr spannend, aber ich geriet dadurch bei meinen Mitschülern in die Situation, als die Repräsentantin des Islam angesehen zu werden“, erinnert sie sich. „Dabei vertrete ich nur eine muslimische Meinung von vielen.“

Bachelor in katholischer Theologie

Nach dem Abitur schwankte sie zwischen dem Berufsweg als Polizistin, Lehrerin oder der Theologie. Damals erfuhr sie, dass in Münster das erste Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) in Deutschland eröffnet worden war. Sie entschloss sich für ein Bachelor-Studium in diesem Fach. Wichtig war für sie, sich der eigenen islamischen Tradition zu vergewissern. Doch schon bald stellte sie fest, dass ihr der interreligiöse Aspekt fehlte.

Zwei Jahre später nahm sie deswegen auch ein Bachelor-Studium in Katholischer Religionslehre auf. Im Studentensekretariat und bei den Kommilitonen löste das seltene Doppel-Studium manche verwunderten Blicke und Irritationen aus. „Einige konnten mich nicht zuordnen und hielten mich für ein Mitglied der Ostkirchen“, sagt Dal-Izgi. „Doch inzwischen habe ich längst Freundschaften mit katholischen Kommilitonen geschlossen. Die pflege ich immer noch.“ Schließlich wurde sie sogar studentische Hilfskraft in Katholischer Theologie.

Sie will das Christentum von innen verstehen

Doch worum ging es ihr bei dieser seltenen Kombination? Die Antwort ist eindeutig: Um den Vergleich des Islam mit einer anderen großen Religion, aber nicht aus einer distanziert-neutralen Sicht wie in den Religionswissenschaften, sondern aus der Binnenperspektive der Religion. „Ich will gründlicher und emotionaler mit dem Christentum ins Gespräch kommen, mit ihm auf einer Wellenlänge sprechen können“, betont die junge Wissenschaftlerin.

Warum man im Christentum eine Vermittlerinstanz zwischen Gott und Mensch braucht, will ihr allerdings bis heute nicht einleuchten. Auch eine mögliche christliche Antwort auf die Theodizee-Frage – Jesus erlöst die Menschen durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung – ist für die überzeugte Muslimin nicht zufriedenstellend.

Ein Kopftuch macht keine bessere Muslima

Andererseits fasziniert sie der christliche Hoffnungsgedanke. Und ein Leben nach dem Tod stellt in ihren Augen ein hohes Gut da, gerade auch für leiderfahrene Menschen. „Die Hand Gottes ist überall und immer da, egal, was passiert“, sagt sie. Auch christlichen Werten wie Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Vertrauen kann sie sehr viel abgewinnen, zumal diese auch im Islam eine große Rolle spielen. Sie warnt aber davor, solche großen Begriffe zu inflationär zu verwenden.

Das Tragen eines Kopftuchs ist für die junge Frau kein Thema. Dadurch sei man noch nicht automatisch eine bessere Muslimin. „Was wäre das für ein Gottesbild, wenn man auf solche Äußerlichkeiten bauen würde?“, fragt sie. Andererseits legt sie beim Gebet ein Kopftuch an, um sich symbolisch auf eine Begegnung mit Gott vorzubereiten.

Sie sucht den Dialog

Sie will auch kein Urteil über Frauen fällen, die ein Kopftuch tragen und für wichtig halten. „Jeder hat da sein eigenes Gottesbild“, sagt sie. Dass der Islam von Extremisten benutzt wird, um Gewalt religiös zu begründen und Menschen Leid zuzufügen, verurteilt sie. Sie warnt aber zugleich vor pauschalen Urteilen, die die ganze Religion betreffen.

Derzeit absolviert Gülsüm Dal-Izgi ein Master-Studium in Islamischer Theologie und Philosophie. Sie arbeitet als studentische Hilfskraft am Zentrum für Islamische Theologie und gibt Workshops zum Thema „Interreligiöser Dialog“ in der Erwachsenenbildung. Ihr Ziel ist es, eine Balance zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, Forschung und Erwachsenenbildung herzustellen.

„Beruflich würde mich ein Mix von allem reizen“, verrät sie. „Vielleicht muss ich da etwas völlig Neues gründen.“ Deshalb will sie Angehörige verschiedener Religionen ermutigen, Gemeinsamkeiten zu suchen und das jeweils eigene, individuelle Gottes- und Menschenbild zu finden.

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