Thomas Großbölting: Große Verunsicherung bei Namensnennungen

Historiker beklagen zunehmende Hindernisse bei Missbrauchs-Aufarbeitung

  • Historiker beklagen zunehmende Hindernisse bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche.
  • Thomas Großbölting, der unter anderem die Missbrauchs-Geschichte im Bistum Münster aufklären soll, spricht von einer großen juristischen Unsicherheit bei der Nennung von Namen möglicher Täter und Mitwisser.
  • Der Hamburger Historiker appellierte an Politik und Bischöfe, für rechtliche Klarheit und entsprechende Rahmenbedingen zu sorgen. Das gelte etwa auch für kirchliche Archiv-Vorschriften.

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Historiker beklagen zunehmende Hindernisse bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. „Die Waagschale neigt sich derzeit zu stark zu den Persönlichkeitsrechten von Verantwortlichen und Tätern und zuungunsten des öffentlichen Aufklärungsinteresses“, sagte der Hamburger Historiker Thomas Großbölting am Donnerstag in Bonn. „Die juristischen Grenzen des Sagbaren sind derzeit enger gezogen als früher.“

Großbölting ist neuer Direktor an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Er leitet zugleich ein wissenschaftliches Team, das unabhängig Missbrauchsfälle im Bistum Münster aufarbeiten soll. Der Historiker verwies auf die Auseinandersetzung um eine bisher unveröffentlichte Studie zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln. Die Veröffentlichung war ursprünglich für März geplant, wurde aber auf unbestimmte Zeit verschoben. Laut offizieller Begründung des Erzbistums braucht die geplante Nennung ehemaliger oder aktiver Verantwortlicher noch eine rechtliche Klärung und Absicherung.

 

Verantwortliche müssen mit Veröffentlichung leben

 

Großbölting sprach von einer „großen Verunsicherung“ mit Blick auf mögliche Veröffentlichungen von Namen und Verantwortungsstrukturen: Verantwortungsträger beriefen sich immer stärker auf Persönlichkeitsrechte, um öffentliche Aufklärung zu verhindern. Es fehle in diesem Bereich an eindeutiger Rechtsprechung.

Der Historiker appellierte an Politik und Bischöfe, für rechtliche Klarheit und entsprechende Rahmenbedingen zu sorgen. Das gelte etwa auch für kirchliche Archiv-Vorschriften. Verantwortliche und Täter müssten damit leben, dass ihre Verfehlungen auch öffentlich genannt würden. Das gelte auch für Fehler unterhalb der Strafbarkeitsschwelle.

 

Bistum Münster: Wir setzen Forderungen von Großbölting bereits um

 

Großbölting forderte in diesem Zusammenhang bessere Bedingungen für die Wissenschaftler. Sie müssten direkten Zugriff auf alle Akten erhalten. Eine unabhängige Finanzierung der Forschungsprojekte müsse garantiert werden.

Das Bistum Münster weist in einer Stellungnahme gegenüber „Kirche-und-Leben.de“ darauf hin, dass die Forderungen Großböltings bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Diözese bereits umgesetzt würden. Das Team der Universität Münster, das Großbölting leitet, agiere völlig unabhängig vom Bistum Münster und entscheide allein, wann und in welchem Rahmen die Ergebnisse der Untersuchung veröffentlicht werden.

 

Damberg: Datenschutz als Vorwand

 

Auch der Bochumer Historiker Wilhelm Damberg sagte, in Deutschland werde der Datenschutz vermehrt als Vorwand genommen, um Aufklärung und die Nennung von Namen zu verhindern. „Es gibt derzeit einen Wechsel der Gewichtung zuungunsten der Forschung.“ Beide äußerten sich bei der Tagung der Bonner „Kommission für Zeitgeschichte“ zum Thema „Katholische Dunkelräume. Die Kirche und der sexuelle Missbrauch“.

UPDATE 9. Oktober: Stellungnahme Bistum Münster (mn)

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