Historiker Großbölting nennt Erkenntnisse seiner Untersuchung

Missbrauch im Bistum Münster: „Fürsorge galt lange zuerst dem Täter“

  • Nach Erkenntnissen des Historikers Thomas Großbölting hat sich die „bischöfliche Fürsorge“ beim Umgang mit sexuellem Missbrauch im Bistum Münster „lange Zeit immer zuerst auf den Täter“ gerichtet.
  • Großbölting erforscht den Umgang der Bistumsleitung mit Missbrauchsfällen.
  • Er kündigte an, Namen und Verantwortlichkeiten klar zu benennen.

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Nach Erkenntnissen des Historikers Thomas Großbölting hat sich die „bischöfliche Fürsorge“ beim Umgang mit sexuellem Missbrauch im Bistum Münster „lange Zeit immer zuerst auf den Täter“ gerichtet. „Dabei geht es darum, die priesterliche Existenz des Mitbruders zu erhalten“, sagte Großbölting dem „Kölner Stadtanzeiger“. Dahinter stecke die Vorstellung vom besonderen Wert des geweihten Priesters.

Ein Team um Großbölting erforscht im Auftrag des Bistums Münster unabhängig dessen Umgang mit Missbrauchsfällen. Nach Worten des Historikers galt es laut seinen Forschungen, den „Status“ des Priesters „aufrechtzuerhalten, weil daran zugleich die Sakralität des Systems hängt“. Dies sei „lange Zeit die Denke der Bistumsleitung“ in Münster gewesen.

 

Großbölting: Wir werden Verantwortliche benennen

 

Großbölting leitet an der Universität Münster ein Projekt zu sexuellem Missbrauch im Bistum Münster. Es forscht ein Kernteam aus vier Historikern und einer Ethnologin. Das Bistum finanziert die Untersuchung mit 1,3 Millionen Euro. Bei der Vorstellung des Vorhabens im September 2019 hieß es, die Arbeit sei auf zweieinhalb Jahre angelegt.

Der Historiker kündigte an, Verantwortlichkeiten von „relativen Personen der Zeitgeschichte“ wie Bischöfen, Generalvikaren und Personalchefs klar zu benennen – gegebenenfalls verbunden mit deren eigenen Einlassungen.

 

Aussagen über noch lebende Verantwortungsträger vielerorts umstritten

 

Unter anderem im Erzbistum Köln ist umstritten, wie mit Aussagen über noch lebende Verantwortungsträger umgegangen werden soll. Dafür gibt es Großbölting zufolge „längst etablierte Standards“, etwa im Stasi-Unterlagengesetz. Auch hier habe es ein doppeltes Ziel gegeben – dem Aufklärungsinteresse nachzukommen und zugleich die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu wahren.

Der Historiker hält es für unzureichend, Missbrauch nur durch Juristen aufarbeiten zu lassen. Das sei „eine eingeschränkte Sicht der Dinge“, sagte er. „Das Kerngeschäft des Historikers besteht darin, Vergangenheit aufzuarbeiten. Da haben wir eine ganz andere Expertise als Juristen, die sich auf die Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit menschlichen Verhaltens konzentrieren.“

 

Aufarbeitung in Köln stockt

 

Im Erzbistum Köln stockt die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen durch Juristen. Die Diözese hatte die Zusammenarbeit mit einer Münchner Kanzlei gestoppt, weil deren Studie über mögliches Fehlverhalten von Bistumsverantwortlichen im Umgang mit Missbrauchsfällen angeblich methodisch fehlerhaft sei. Das Erzbistum beauftragte eine neue Sozietät mit der Untersuchung.

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