Krise der Kirche bei Christentreffen spürbar - eine Bilanz

Katholikentag in Stuttgart zwischen Reformwunsch und Sorge um Relevanz

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Ein Absturz der Teilnehmendenzahl und nur wenige Spitzenpolitiker - prompt löst das Treffen von Stuttgart neue Rufe nach Reformen aus, bei den kirchlichen Streitthemen und beim Katholikentag selbst. Denn der Trend liegt wohl kaum nur an Corona.

Die Glocken von Stuttgart hallen auch nach dem Katholikentag nach. Das minutenlange Läuten für den Frieden zeigt: Die katholische Kirche in Deutschland pflegt ihre eigenen Traditionen und will doch weiter mitmischen bei den drängenden Problemen der Zeit. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bildete einen Schwerpunkt des fünftägigen Treffens, das am Sonntag zu Ende ging und deutlich weniger Gäste anlockte als vorige Katholikentage.

Ob das Geläut aller katholischen Kirchen der Stadt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in den Ohren klingt? Ihn zum Einlenken bringt? Eher nicht. Aber eine Kundgebung mit ungezählten blau-gelben Schals, Friedensgebete und Podien setzten weitere Signale der Verbundenheit mit den Menschen in und aus der Ukraine.

Gedämpfter als üblich

Mit brüchiger Stimme sprach Irme Stetter-Karp ihr Mitgefühl aus. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) erinnerte unter Tränen an die Opfer des Krieges: "Wir teilen Ihre Verzweiflung, wir teilen Ihre Trauer über die Toten und Verwundeten." Der Katholikentag wollte "ein starkes Zeichen für den Frieden aussenden", formulierte der gastgebende Bischof Gebhard Fürst unter Beifall.

Doch die Schönwetter-Wölkchen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass beim Katholikentag vieles gedämpfter war als üblich. Dafür sorgten nicht nur Corona und der Krieg, sondern auch die anhaltende Kirchenkrise.

Kaum noch Spitzenpolitiker

Abgesehen vom (evangelischen) Bundespräsidenten und dem (konfessionslosen) Bundeskanzler kamen kaum Spitzenpolitiker. Vor allem Union und FDP glänzten durch Abwesenheit. Zudem entschieden sich erheblich weniger Menschen für eine Teilnahme als zuletzt vor vier Jahren in Münster. Dort waren es rund 80.000, jetzt 27.000.

"Der Katholikentag muss schmaler werden, damit er besser wird", mahnt zum Beispiel Bischof Ulrich Neymeyr aus Erfurt, wo 2024 das nächste Treffen stattfindet. Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck regt mehr gemeinsame Großveranstaltungen der beiden Kirchen an. Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert und die Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Bettina Limperg, wollen Katholikentage und Evangelische Kirchentage gleich zusammenlegen. Limperg war evangelische Präsidentin des Ökumenischen Kirchentags 2021.

Junge Menschen blieben eher fern

Zudem muss es gelingen, wieder mehr junge Leute anzuziehen. Denn allem Anschein nach blieben diesmal viele Jüngere fern. Zeichen einer wachsenden Entfremdung zwischen der Kirche und dem Großteil einer ganzen Generation.

So waren rund um den Schlossplatz vor allem Menschen jenseits der 60 mit korallfarbenen Katholikentags-Bändchen zu sehen, oft in funktionaler Trekking-Kleidung. Die religiösen Gäste haben die sechstgrößte Stadt Deutschlands zwar nicht geprägt, aber die City sehr belebt. Bei Maultaschen und Musik wirkten viele froh, endlich wieder ein Glaubensfest in Präsenz feiern zu können.

Warum Reformen und Relevanz zusammenhängen

In der Autostadt Stuttgart hat der zuletzt stotternde Motor für kirchliche Reformen neuen Schwung erhalten, vor allem durch prominente Stimmen aus der Politik. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier setzte Akzente, nicht nur in der Ansprache zur Eröffnung.

Er suchte bewusst den Stand des Reformprojekts Synodaler Weg auf und warnte indirekt vor einem Bedeutungsverlust: "Unsere Gesellschaft braucht eine starke Kirche, die relevant ist. Deshalb hoffe ich, dass Sie in ihren Anstrengungen für Kirchenreformen vorankommen." Selten wurde der Zusammenhang zwischen Reformen und Relevanz von hoher Stelle so klar benannt.

Podien nur selten kontrovers

Auch Länderchefs wie Winfried Kretschmann (Grüne, Baden-Württemberg) und Malu Dreyer (SPD, Rheinland-Pfalz) machten Dampf. Sie zeigten sich besorgt, die Kirche könne ihre gesellschaftliche Kraft leichtfertig verspielen.

Auffallend war, dass die meisten Podien nicht kontrovers besetzt waren. So schmorten im Talkessel von Stuttgart die Modernisierer im eigenen Dunst. Sollten andere nicht dazu oder wollten sie nicht? Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki jedenfalls zog eine Parallelveranstaltung im rheinischen Wallfahrtsort Neviges vor.

Ungeklärte Fragen "ausgehalten"

Besorgt über die Lage der Kirche äußerte sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing. "In der Situation, wo wir jetzt sind, betrügen wir viele Menschen um eine Brücke zu Gott. Das ist das, woran ich leide."

Im Schlussgottesdienst zog Bätzing eine Art Bilanz von Stuttgart: "Wir haben gebetet, diskutiert und auch die vielen ungeklärten Fragen ausgehalten." Sie stehen also weiterhin im Raum.

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