Ihre Gründe für den Kirchenaustritt vor 30 Jahren

Katja Reuter: „Die Kirche empfinde ich als frauenfeindlich“

Anzeige

Die nackten Zahlen erschrecken. Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus, das zeigen die offiziellen Zahlen, die in dieser Woche veröffentlicht worden sind. Aber hinter diesen Zahlen stecken einzelne Menschen. Die sich ihren Schritt oft gut überlegt haben. Vor allem, wenn sie eine Heimat in der Kirche hatten. Kirche-und-Leben.de lässt ausgetretene Menschen zu Wort kommen und stellt ein Projekt vor, mit dem die Abtei Gerleve auf sie zugeht. Heute: Katja Reuter, die vor 30 Jahren als junge Frau die Kirche verlassen hat.

Frau Reuter, die Kirchenaustrittszahlen erreichen fortlaufend Höchststände. Wie blicken Sie auf diese Zahlen als jemand, der vor vielen Jahren die katholische Kirche verlassen hat?

Ich kann das nur zu gut verstehen und befürworten. Mit Blick auf die Skandale der Kirche in den letzten Jahren ist das selbst für überzeugte Mitglieder der einzige Weg, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen und den „Sumpf“ finanziell trockenzulegen. Der finanzielle Spielraum wird dadurch zwar auch für karitative Aktivitäten kleiner, was schade ist. Aber die Bistümer haben ja bereits angekündigt: Sie wollen nun Tafelsilber veräußern. Ich bin gespannt.

Was waren für Sie vor 30 Jahren die Gründe, die Kirche zu verlassen?

Damals war ich Berufsanfängerin und bin aus meiner katholischen Heimat im Ruhrgebiet nach Hamburg gezogen. Und ich habe mich schon viel früher gefragt: Was hast du von dieser Institution? Dabei bin ich zu dem Schluss gekommen: Die Institution, die ich immer befremdlicher, frauenfeindlich, dogmatisch und weltfremd fand, will ich nicht mehr fördern, finanziell nicht. Und die Werte wie barmherzig und humanistisch kann ich auch in anderen Zusammenhängen ausüben.

Wie groß war Ihr Ärger?

Mich hat immer geärgert, wie selbstverständlich und beharrlich patriarchal die Institution sich gab und wie stur sie an Ideen festhielt, die sowohl politisch-moralische Aufarbeitung verweigerte, wie der Rolle der Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus, als auch zukunftsgerichtete Ideen abgewürgt hat, zum Beispiel souveräne Geburtenkontrolle in Ländern der sogenannten Dritten Welt, unmoderner Umgang mit homosexuellen Lebenskonzepten, absurde eigene Arbeitsgesetzgebung, Ausschluss von Frauen aus kirchlichen Ämtern, es sei denn, es sind Ehrenämter.

Wie bewerten Sie den heutigen Zustand der Kirche?

„Die Kirche“ ist für mich das offizielle Konstrukt, dass sich ganz weit entfernt hat von der eigentlichen Kirche (von unten). Es gibt immer wieder Versuche, da Verbindungen herzustellen und sicher einzelne Figuren, die darum wirklich bemüht sind. Im Kern ist „die Kirche“ jedoch eine mittelalterliche, überkommene und tatsächlich veränderungsunwillige Vereinigung mit einem unfassbaren Anspruch an Deutungshoheit und Wahrheit. Kurz: Der Zustand ist in meinen Augen desas­trös.

Welche Rolle spielt die christliche Religion in Ihrem Leben?

Eine eher kleine Rolle. Ich bin damit aufgewachsen und sicher auch in Teilen meiner Kindheit und Jugend davon geprägt worden. Was geblieben ist, sind Werte und der Glaube an etwas, das größer ist als wir alle. Allerdings könnte ich das sicher auch in anderen Weltreligionen finden. Deshalb: Für mich ist das über diesen Gruppierungen angesiedelt und nicht allein in der christlichen oder einer anderen Religion verankert.

An welchen Kirchenthemen sind Sie noch interessiert?

Ich verfolge mit „einem Auge“ den Synodalen Weg, die arbeitsrechtliche Reform, Maria 2.0 – allerdings mit sehr viel Abstand und großer Sympathie für diejenigen, die innerhalb der Institution etwas zu verändern suchen.

Welche Gründe könnte es geben, um über einen Wiedereintritt nachzudenken?

Gar keine Gründe. Ich bin raus.

Beruflich arbeiten Sie als Organisationsentwicklerin und coachen Firmenpersonal. Wenn Sie nun einflussreiche Kirchenvertreter coachen könnten, welche Tipps würden Sie ihnen geben, um besser zu werden und die Kirche attraktiver zu machen?

Würde ich nie machen. Aber sei es drum: Alltagstauglichkeit, Nähe zur Basis, wirklich zuhören – ohne Wenn und Aber. Und glaubhaft kommunizieren – also Deckungsgleichheit zwischen Wort und Tat. Demut wäre wahrscheinlich auch ganz gut als Wesenszug, um glaubwürdiger zu werden.

Anzeige