Pfarrer Jochen Reidegeld über den Fall einer Kurdin in St. Nikomedes

Kirchenasyl in Steinfurt: „Eine Sternstunde christlichen Engagements“

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Eine 23-jährige Kurdin aus Syrien hat für ein halbes Jahr Kirchenasyl im Pfarrhaus von St. Nikomedes in Steinfurt-Borghorst gefunden. Eine Gruppe von freiwillig Engagierten hat die junge Frau während dieser Zeit betreut und ihr geholfen, sich auf Deutsch zu verständigen. Verhindert werden sollte eine Abschiebung nach Rumänien, wo der Antrag auf Asyl eigentlich zu behandeln ist. Entschieden wird über den Fall in der nächsten Zeit. Im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“ äußert sich der Pfarrer der Kirchenasyl gebenden Pfarrei, Jochen Reidegeld, über die Solidarität in der Gemeinde und über die Chance, ein Asylverfahren neu zu bewerten.

Herr Reidegeld, was waren die Gründe für das Kirchenasyl in Ihrer Pfarrei für eine junge syrische Kurdin?

Das Kirchenasyl ist für uns wirklich das letzte Mittel, das sehr sparsam eingesetzt werden sollte, um es nicht zu beschädigen. In diesem Fall ging es darum, eine junge Frau, die in Nordsyrien beim Überfall des IS und auf der Flucht traumatische Erfahrungen gemacht hat, nicht erneut von ihren Angehörigen zu trennen.

Ein Kirchenasyl erfordert Solidarität innerhalb der Pfarrei. Wie verliefen die Diskussionen in den kirchlichen Gremien?

Diese Solidarität war wirklich bewundernswert. In den Gremien haben wir den Fall ausführlich und differenziert diskutiert. Das hat mich ebenso gefreut wie der dann gefällte einstimmige Beschluss. Als eine Sternstunde christlichen Engagements habe ich die Begleitung der jungen Frau durch Frauen und Männer aus unserer Pfarrei empfunden. Sie haben nicht nur Deutschunterricht erteilt. Sie haben der jungen Frau gerade auch in den schwierigen Momenten beigestanden, wenn die schmerzhaften Erinnerungen wieder hochkamen.

Kirchenasyl wird oft im Stillen gewährt, also ohne öffentlichkeitswirksamen Rahmen. Warum ist diese Zurückhaltung ratsam?

Pfarrer Jochen Reidegeld von der Pfarrei St. Nikomedes in Steinfurt. | Gudrun Niewöhner (pbm)
Pfarrer Jochen Reidegeld von der Pfarrei St. Nikomedes in Steinfurt. | Foto: Gudrun Niewöhner (pbm)

Wir haben auch in diesem Fall nicht die Öffentlichkeit gesucht. Als dann aber eine Anfrage der Lokalredaktion kam, war es uns wichtig, von dieser Mut machenden Erfahrung für alle Beteiligten zu erzählen. In dem Engagement dieser Art kann wirklich deutlich werden, wie der Kernauftrag der Kirche gelebt werden kann.

Wie haben Sie das Asylverfahren, die bürokratischen und rechtlichen Behördenvorgänge in diesem konkreten Fall erlebt?

Mir ist es extrem wichtig, dass das Kirchenasyl keine Kritik an der Arbeit unseres Ausländeramtes bedeutet. Ich erlebe die Leitung und die Mitarbeitenden dort als sehr gesprächsbereit und kooperativ. Die Frauen und Männer dort entsprechen in keiner Weise dem Klischee, das häufig existiert. Dafür bin ich sehr dankbar. Es gibt für das Kirchenasyl ein abgestimmtes Verfahren. Dieses Verfahren hat auch in diesem Fall gegriffen, und ich hab alle Beteiligten als sehr professionell und zuverlässig erlebt. Ich glaube, dass es auch darauf ankommt, dass wir als Kirche diese Professionalität zeigen. Da ist die Beratung durch das Bistum Münster, die Caritas und das Netzwerk Kirchenasyl sehr hilfreich gewesen.

Ein Kirchenasyl fordert immer auch das Kirche-Staat-Verhältnis heraus. Warum braucht es ein Kirchenasyl in Deutschland?

Es ist gut, dass es dieses abgestimmte Verfahren gibt. Wichtig ist ein verantwortlicher Umgang mit diesem Instrument. Das Kirchenasyl bietet die Chance, in bestimmten Härtefällen Aspekte zu berücksichtigen, die durch die gesetzlichen Vorgaben nicht erfasst werden.

Stichwort Kirchenasyl
Kirchenasyl ist der Versuch einer christlichen Gemeinde oder eines Ordens, Flüchtlingen durch zeitlich befristete Schutzgewährung beizustehen, um auf eine erneute Überprüfung ihrer Situation hinzuwirken. Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren, treten für Menschen ein, denen durch eine Abschiebung Gefahren drohen oder für die mit einer Abschiebung nicht hinnehmbare Härten verbunden sind. Das Kirchenasyl schafft Zeit für weitere Verhandlungen und für eine sorgfältige Überprüfung des Schutzbegehrens. Nach Informationen der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ gibt es zurzeit 354 aktive Kirchenasyle mit mindestens 553 Personen, davon sind etwa 110 Kinder. 315 der Kirchenasyle sind sogenannte Dublin-Fälle. Im Bistum Münster gab es zuletzt sechs Kirchenasyle.

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