Reaktionen aus Steinfurt, Wesel, Kleve, Coesfeld, Münster und Recklinghausen

Kirchenaustritte 2020 - Einordnung der Kreisdechanten im Bistum Münster

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12.698 Menschen haben im vergangenen Jahr im Bistum Münster der katholischen Kirche den Rücken gekehrt - das ist der zweithöchste Wert überhaupt. Wie kommen diese Zahlen an der Basis an - dort, wo diese Menschen fehlen? Reaktionen der Kreisdechanten im Bistum Münster.

 

Jochen Reidegeld, Kreisdechant Steinfurt

 

Jochen ReidegeldJochen Reidegeld ist Kreisdechant des Kreisdekanats Steinfurt. | Foto: pbm

Trotz negativer Entwicklungen sieht Jochen Reidegeld eine Zukunft für die Kirche: „Sie liegt für mich darin, dass wir darüber hinausgehen, Kirche nur ,zu veranstalten‘, sondern und vielmehr als Christinnen und Christen in der Gesellschaft leben. Wir werden nur dann eine Relevanz haben, wenn Menschen eine Spiritualität erleben, die sie wirklich trägt. Zugleich wird es wichtig sein, dass Menschen erleben, dass die christliche Botschaft das Gemeinwesen bereichern und zu einem gerechteren Ort machen kann.“

Dies, davon ist der Kreisdechant überzeugt, gelinge sicher nicht durch Verlautbarungen wie die zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, die Menschen verurteile und deren Würde verletze: „Als Christinnen und Christen dürfen wir durchaus unbequeme Fragen stellen. Der Papst tut dies auch, wenn er unser auf reines Gewinnstreben und Wachstum orientiertes Wirtschaftssystem in Frage stellt. Aber wir sollten aufhören, den Eindruck zu erwecken, dass wir dabei für uns in Anspruch nehmen, die Wahrheit gepachtet zu haben und andere Lebensweisen verurteilen zu können.“

Für die Pfarreien vor Ort wird es nach Reidegelds Ansicht wichtig sein, aus der Kirchenblase herauszutreten: „Wir sollten Begegnungsräume schaffen und aufsuchen, wo wir Menschen mit anderen Meinungen zuhören, um dann gemeinsam nach neuen, guten Wegen suchen.“

 

Stefan Sühling, Kreisdechant Wesel

 

Stefan Sühling Stefan Sühling ist Kreisdechant des Kreisdekanats Wesel. | Foto: Christian Breuer (pbm) 

„Die Austrittszahlen zeigen, dass wir viele Menschen ganz offensichtlich nicht mehr erreichen. Viele wenden sich ab, zornig über die in den vergangenen Monaten ans Licht gekommenen Missbrauchsfälle und enttäuscht von innerkirchlichen Diskussionen. Wenn wir nicht noch mehr Menschen verlieren möchten, müssen wir endlich eine deutliche und verständliche Sprache sprechen und ebenso klar und eindeutig handeln.

Genauso konsequent gilt es, die Hausaugaben zu machen. Wir brauchen beispielsweise Antworten auf die Frage wie künftig Leitung in den Kirchengemeinden wahrgenommen wird. Dabei spielt auch der ehrliche Umgang mit dem dramatischen Mangel an Priestern sowie Seelsorgerinnen und Seelsorgern eine wichtige Rolle. Sonst spielen wir bald gar keine Rolle mehr in der Gesellschaft.“

 

Johannes Mecking, Kreisdechant Kleve

 

Johannes MeckingJohannes Mecking ist Kreisdechant des Kreises Kleve. | Foto: Christian Breuer (pbm)

„So schwerwiegend die hohe Zahl der Austritte in der vergangenen Zeit ist, die mich natürlich auch vor Fragen stellt und betroffen macht, so sehr sehe ich auch die große Zahl der Menschen, die sich vor Ort in unseren Gemeinden mit ganzem Herzen und oftmals auch sehr kritisch engagieren. Sie geben ein lebendiges Zeugnis ihres Glaubens und ihrer Zuversicht, dass auch heute Gottes Geist in den Menschen wirksam ist und bei allen Enttäuschungen und Schwierigkeiten einen Weg in die Zukunft weist.“

 

Jörg Hagemann, Stadtdechant Münster

 

Jörg HagemannJörg Hagemann ist Stadtdechant des Stadtdekanats Münster. | Foto: pbm

Münster Stadtdechant Jörg Hagemann glaubt, dass es gute Gründe zum Bleiben gibt und nennt Beispiele: „Ich denke an die Begleitung und Beratung von Menschen in persönlicher und existentieller Not, an die Caritas und die Ehe-, Familien- und Lebensberatung und die wirklich gute Familienbildung, zum Beispiel im Haus der Familie. Ebenso sehe ich den Versuch, sich mit den Menschen an den Lebenswenden auf die Sinnsuche zu begeben.“ Dies geschehe in vielen Gesprächen, aber auch in gottesdienstlichen Feiern.

Gleichzeitig wisse er aber um „gute Gründe, unsere Kirche zu verlassen“ und nennt beispielhaft den Umgang mit Macht in der katholischen Kirche, die Tatsache, dass Betroffene sexualisierter Gewalt oft zu lange nicht im Zentrum standen, sowie „die nicht gelebte vollständige Geschlechtergerechtigkeit und den Umgang mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften“. „Ich werbe mit meiner Person und in meiner Kirche dafür zu bleiben, um zu verändern“, betont der Stadtdechant und wendet sich an die Frauen und Männer, die darüber nachdenken, die Kirche zu verlassen: „Bleibt doch bitte, um sie, die Kirche, zu verändern.“

 

Johannes Arntz, Kreisdechant Coesfeld

 

Johannes ArntzJohannes Arntz ist Kreisdechant des Kreisdekanats Coesfeld. | Foto: pbm

„Wenn im Jahre 2221 ein Studierender der Statistik die kirchlichen Daten des Kreisdekanats vom Jahr 2020 bewerten müsste, er käme wohl zu falschen Schlüssen. Dass es ein außergewöhnliches Jahr gewesen ist, sieht man beim Blick auf die Zahlen. Mit Ausnahme der Zahl der Kirchenaustritte geben die Zahlen und ihre Veränderung zum Vorjahr keine andauernde Wirklichkeit im Kreisdekanat wieder. Das merken die Pastoralteams in den Gemeinden an den vielen jetzt stattfindenden Taufen, den zahlreich für 2022 angemeldeten Trauungen und die leichte Zunahme von Kirchenbesucherinnen und -besuchern.

Allein die Zahl der Austritte verdeutlicht, dass die innere Bindung zur Institution Kirche abnimmt und sich dieses im Austritt, der fast immer einem innerkirchlichen Skandal folgt, ausdrückt. ‚Es ist die Zeit der leeren Kirchen‘ wie Tomas Halik es formuliert. Diese Zeit fordert Hilfen zur Vertiefung des Glaubens und zur persönlichen Glaubensentscheidung. Die Zeit der Volkskirche ist endgültig vorbei, es braucht eine Kirche im Volk.“

 

Jürgen Quante, Kreisdechant Recklinghausen

 

Jürgen QuanteJürgen Quante ist Kreisdechant des Kreisdekanats Recklinghausen. | Foto: Michael Bönte

„Die Zahlen sind sicher unter Coronabedingungen zu lesen. Da ist es fast erstaunlich, dass die Kirchenbesucherzahlen nicht noch katastrophaler eingebrochen sind. Die Zahlen sind Jahr für Jahr unerbittlich: Wir werden weniger!“

Reaktionen der Kreisdechanten von Borken und Warendorf sowie aus dem Offizialatsbezirk Oldenburg standen nicht zur Verfügung. | red

 

Kirchenaustrittszahle n in den Regionen des Bistums Münster
In den Regionen des Bistums stellen sich die Austrittszahlen für 2020 wie folgt dar (in Klammern 2019):
Borken: 1.584 (2.071) 
Coesfeld: 1.080 (1.568)
Kleve: 1.054 (1.348)
Münster: 1.717 (2.035)
Oldenburg: 1.689 (2.089)
Recklinghausen: 1.255 (1.748)
Steinfurt: 1.702 (2.257)
Warendorf: 1.240 (1.638)
Wesel: 1.377 (1.864)
KORREKTUR: Irrtümlich haben wir die Austrittszahlen für das Kreisdekanat Kleve von 2020 und 2019 vertauscht. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. (15.07.2021, 9:15 / mn)

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