Frömmigkeit auf neuen Wegen (7) - Interview mit Bruder Cassian OSB in Spanien

Kloster Rabanal am Jakobsweg - Herberge nicht nur für gläubige Pilger

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Die Kirche gehörte früher selbstverständlich dazu – von den Festen im Jahreslauf bis hin zu prägenden Ereignissen im individuellen Leben. Heute sind die kirchlichen Bezüge lockerer geworden – was jedoch nicht bedeuten muss, dass die Menschen weniger gläubig sind. Der Camino, der spanische Jakobsweg nach Santiago de Compostela, erlebt seit Jahren einen Pilgerboom. Wo der Reiz auch für nicht gläubige Menschen liegt, haben wir Bruder Cassian gefragt. Er lebt mit drei weiteren Benediktinern im Kloster des kleinen Orts Rabanal del Camino, wo Pilger gern über Nacht bleiben.

Bruder Cassian, warum ist der Jakobsweg, auf dem seit rund 1000 Jahren Millionen von Menschen pilgern, bis heute so attraktiv?

Ich kann nicht wirklich sagen, worin für all die Pilger die Faszination für diesen Pilgerweg besteht, dazu sind sie zu verschieden. Das „Beten mit den Füßen“ scheint aber grundsätzlich im Menschen angelegt zu sein und findet sich auf der ganzen Welt. Aber schon immer haben die Berichte anderer Jakobspilger dazu motiviert, sich selber auf den Weg zu machen. Und über die verschiedenen Internetplattformen verbreitet sich die Faszination des Camino noch rasanter. Dass zum Jakobsweg auch eine weltweit einmalige Beherbungs-Infrastruktur gehört, macht vielen die Entscheidung leichter. Zudem gibt es heute auch Angebote für diejenigen, die den beschwerlichen Weg früher nicht geschafft hätten – etwa für Senioren, für Menschen mit Behinderung, mit kleinen Kindern, sogar mit Hunden und auf Pferden und vieles mehr.

Sie lernen jeden Tag Pilgerinnen und Pilger aus der ganzen Welt kennen, die auf dem Camino unterwegs sind. Was ist Ihre Einschätzung: Wie viele davon sind gläubige Christen, wer sind die anderen?

Das Kloster
Ende der 1990er Jahre gründeten drei junge Mönche aus der spanischen Benediktinerabtei Silos eine neue Gemeinschaft in dem kleinen Ort Rabanal del Camino – gelegen auf direktem Pilgerweg nach Santiago de Compostela, etwa auf halbem Weg zwischen Astorga und Ponferrada. Seit 2001 gehört das Kloster „Monasterio San Salvador del Monte Irago“ zur Kongregation der Missionsbenediktiner von St. Ottilien. Heute lebt dort eine internationale Gemeinschaft von vier Mönchen aus Deutschland, Spanien, Südkorea und Tansania in dem Kloster. Mehr dazu gibt es auf der Homepage des Klosters. Die Gemeinschaft auf Facebook ist hier zu finden. | mn

Ich bin jeden Tag neu erstaunt, dass aus allen Teilen der Erde, aus allen Kulturkreisen und aus den unterschiedlichsten religiösen und nichtreligiösen Kontexten Menschen nach Santiago pilgern. Dass sie in unseren Gottesdiensten aktiv mitfeiern oder in der Tiefe verstehen, was wir da tun, ist eher die Ausnahme. Umso mehr berührt es mich, dass sie sich von unseren Gebetszeiten ansprechen lassen und sich anschließend viele bedanken.

Was treibt die einen wie die anderen an?

Bei dieser Massenbewegung kommt mir leicht ein Zitat des heiligen Augustinus in den Sinn: „Geschaffen hast du uns auf dich hin, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“ Viele Pilger sind, ob bewusst oder unbewusst, in einer Umbruchsituation, brauchen Klärung und nehmen sich dafür Zeit. Da ist das Pilgern ein Übergangsritual. Bei anderen Pilgern kommt es auch nicht selten im Verlauf der Pilgerschaft zu einer Neuorientierung im Leben. Nicht wenige gehen den Camino immer und immer wieder. Die Menschen erfahren auf dem oft beschwerlichen Weg offensichtlich eine Bereicherung für ihr Leben, die sie nirgendwo sonst so finden.

Welches Angebot machen Sie für die Pilgerinnen und Pilger?

Im Gespräch
Bruder Cassian Jakobs OSB (61) stammt gebürtig aus Heimersheim (Neuenahr/Ahrweiler) und wuchs in Köln auf. 2007 trat der Landschmaschinenmechaniker und Gemüsegärtner in die Erzabtei St. Ottilien (Oberbayern) ein. 2021 wurde er nach Rabanal del Camino ausgesandt.  | mn

In erster Linie erleben uns die vielen Pilger in der Feier der Gottesdienste. Die meisten erleben solche Gebetszeiten mit den Jahrhunderte alten Gesängen zum ersten Mal. Wir selbst haben ein Gästehaus für Pilger, die mindestens zwei Nächte bleiben wollen. Wir bieten ihnen dort Stille und Besinnung, auch die Möglichkeit für geistliche Gespräche und das gemeinsame Essen mit der Klostergemeinschaft.

Welches spirituelle Angebot berührt die Pilgerinnen und Pilger am meisten? Was glauben Sie, warum?

Die Pilger sind oft tief berührt von der Einheit der alten Gesänge, des alten sakralen Raums und unserem Stehen vor Gott. Diese Kirche, die fast 1000 Jahre Gottesgegenwart, Gottesverehrung und Gebet verkörpert und atmet, ist sicherlich eine tiefe Erfahrung für alle – weil sie durch unsere Gottesdienste auf einmal selber Teil davon werden.

Warum sind Sie von St. Ottilien in Oberbayern nach Rabanal gezogen?

Mein Abt, Erzabt Wolfgang Öxler, hat mich Ostermontag 2021 völlig unerwartet gefragt, ob ich bereit wäre, meinen Lebensmittelpunkt zu verändern und in dieses kleine Kloster nach Spanien zu gehen. Ich hatte ganz andere Pläne im Kopf und habe, wie ich meinte, mit vernünftigen Argumenten erklärt, warum das kein guter Plan ist. Die Ablehnung hat er akzeptiert, aber nach kurzer Zeit habe ich meine Situation nochmals überdacht und auch mit Mitbrüdern gesprochen. Am nächsten Tag und einige Gebete später war für mich klar, dass ich doch diese unerwartet Herausforderung annehmen wollte und habe um meine Aussendung gebeten. Diese besondere Arbeit mit den Pilgern hat mich dann doch gereizt.

Wie bereichern Ihre Gäste Sie persönlich als Mönch?

Medientipp:
Ich bin dann mal hier, Spiritueller Begleiter auf dem historischen Jakobsweg von Bielefeld nach Wesel, Michael Bönte (Hrsg.), dialogverlag 2015, 3,- Euro.
Dieses und weitere Bücher zum Jakobsweg hier bequem direkt über unseren Partner Dialogversand bestellen. Tel. 0251-4839-210, Mail: service@dialogversand.de

Ohne die Begegnung mit anderen Menschen fehlt dem Leben grundsätzlich etwas. Die Begegnungen und Gespräche mit den Gästen bereichern mich durch die Möglichkeit, unsere gegenseitige Gotteserfahrung auszutauschen. Dazu gehört aber auch, über Schicksalsschläge zu sprechen, so die Lebenslast zu teilen und ihnen möglicherweise zu helfen, den Lebensweg mit neuer Kraft weiterzugehen. Das ist nicht einfach, aber es kann bereichern.

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