Roadstory (12): Die Geschichte hinter der Autobahnabfahrt

Krebsberatung ehrenamtlich - nicht leicht, aber erfüllend

Wie ein Gitternetz liegen die Autobahnen über dem Bistum Münster. Hinter jeder Abfahrt warten spannende Geschichten. Heute verlassen wir die A1 an der Abfahrt Nord und besuchen eine Ehrenamtliche in der Krebsberatungsstelle in Münster.

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Wie ein Gitternetz liegen die Autobahnen über dem Bistum Münster. Hinter jeder Abfahrt warten spannende Geschichten. Heute verlassen wir die A1 an der Abfahrt Nord und besuchen eine Ehrenamtliche in der Krebsberatungsstelle in Münster.

Und plötzlich war Zeit da, viel Zeit. Marie-Theres Brands-Schwabe erinnert sich gut an 2014. Es kam vieles zusammen. Die Fremdsprachen-Assistentin ging in den Ruhestand, ihre Kinder waren ausgezogen, der Hund, mit dem sie und ihr Mann viel Zeit verbracht hatten, starb. „Eigentlich dachte ich in dieser Situation zunächst nur an mich“, sagt die heute 70-Jährige. „Ich war mit der neuen Situation nicht zufrieden.“ 

Was sie aus diesem Gefühl entwickelte, ist aber weit entfernt von der Art Selbstverwirklichung, die viele Menschen in einer solchen Lebensphase angehen. Kein neues Hobby, keine neue Sportart, keine Weltreise, sondern das Ehrenamt kam auf ihre Tagesordnung. Und das in einem Umfeld, dessen Thema sich nur wenige freiwillig aussuchen würden: Seit sechs Jahren arbeitet Brands-Schwabe in der Krebsberatungsstelle in Münster.

 

Kein Ort dunkler Gedanken

 

Mit diesem Vorurteil räumt sie aber sofort auf: „Das ist kein Ort, an dem die dunklen Gedanken von Schmerzen und Ängsten im Vordergrund stehen.“ Sie meint damit das Gesundheitshaus in Münster, in dem die Räume der Beratungsstelle untergebracht sind. Schon die hohen Fensterfronten bringen Licht in die Gesprächsrunden und Beratungssituationen. „Der Umgang miteinander, die Atmosphäre, das Zugehen auf die Klienten sind genauso hell.“

Was nicht heißt, dass der schwere Hintergrund der Menschen, die hierher kommen, vor der Tür bleibt. Es geht um existentielle Fragen, um Alltagsbewältigung, um Notsituationen. Dafür steht ein Team aus Sozialpädagoginnen, Psychoonkologinnen, Sozialarbeiterinnen und Theologinnen bereit – nicht nur für die Krebspatienten, auch für die betroffenen Familien. Sie beraten und begleiten in allen Fragen, die sich bei einer solchen Erkrankung ergeben können. Von finanziellen und beruflichen Dingen über medizinische und bürokratische Hintergründe bis hin zur praktischer Lebenshilfe.

 

Blick nach vorne

 

„Hier steht immer die Hilfe im Vordergrund, der Blick nach vorne“, sagt Brands-Schwabe. „Sachlich, ermutigend, hoffnungsvoll“, beschreibt sie die Atmosphäre. Zu der auch sie beiträgt. 40 ehrenamtliche Helfer komplettieren das Team, mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. Ärzte sind dabei, Ernährungsexperten, Heilpraktiker. Und eben auch Brands-Schwabe, die von sich sagt, „dass ich eigentlich nur eine kleine helfende Hand bin“.

„Ich arbeite im Hintergrund.“ Koordination von Beratungsterminen, Hilfe bei der Organisation von Spendenveranstaltungen und -einwerbungen, Dokumentation von Beratungsgesprächen – ein unregelmäßiges Engagement, immer mal wieder ein paar Stunden. Zudem sie nicht nur kam, weil sie im Ruhestand plötzlich Zeit hatte, sondern weil sie den Gedanken an das Ehrenamt schon lange Zeit im Hinterkopf hatte. 

 

Das Lächeln des Gegenübers

 

„Der Umgang mit Menschen macht mir immer Freude“, sagt Brands-Schwabe. Wenn sie nach einer Begegnung bemerkt, dass der Mensch gegenüber sich mit einem Lächeln verabschiedet, macht sie das froh. Ein Gefühl, das sie aus vielen anderen Situationen ihres Lebens kennt und genießt. Wenn sie etwa mit ihrem a-capella-Chor das Publikum begeistert oder als Gästeführerin auf dem Landsitz Haus Rüschhaus bei Münster die Zuhörer mit in die Zeit der Annette von Droste-Hülshoff nimmt.

Die Freude ist für sie aber am größten, wenn sie sich sozial engagiert. „Weil der Gewinn für beide Seiten dann besonders hoch ist.“ Also auch dann, wenn sie einmal die Woche nach Senden fährt, um die dortige Tafel zu unterstützen. Oder eben im Büro der Krebsberatungsstelle, wo sie „einen kleinen Teil dazu beitragen kann, damit Menschen ihre schwere Situationen meistern können“.

 

Helfen können ist ein schönes Gefühl 

 

Woher kommt dieser Impuls? Religiös motiviert sei sie nicht, sagt Brands-Schwabe. Die Zuwendung zum Menschen aber steht für sie trotzdem im Mittelpunkt. „Das Gefühl, helfen zu können, ist eins der schönsten, das es gibt.“ Aber warum gerade die Beratungsstation im Gesundheitshaus, warum ein so schweres Thema? Denn die Präsenz des Themas Krebs bringt jeden Menschen automatisch auch in die persönliche Auseinandersetzung damit. Das kennt Brands-Schwabe von sich. „Natürlich begegne ich in meiner Familie und im Freundeskreis dieser Krankheit.“ Und die Frage nach der eigenen Gesundheit drängt sich immer mal wieder in ihre Gedanken.

Sie klopft auf Holz, wenn sie danach gefragt wird. Nicht im übertragenen Sinn, sondern wirklich auf den Tisch. „Toitoitoi“, sagt sie dann. Darin steckt viel von ihrem eigentlichen Antrieb, sich in einem Umfeld zu engagieren, das so belasten kann. „Ich bin nie wirklich krank gewesen, meine Kinder haben einen guten Weg gemacht, mir geht es gut.“ Das ist für sie nicht selbstverständlich, nicht erst seitdem sie von den Schicksalen der Klienten in der Beratungsstelle weiß. „Einschneidende Ereignisse habe ich im meinem Umfeld immer wieder erlebt.“ Sie fühlt sich deshalb privilegiert. Und aufgefordert, „etwas zurückzugeben, weil ich viel Glück in meinem Leben hatte.“
 

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